Anna Oppermann: Interview mit Herbert Hossmann 1983 (Auszug)

in Katalog: Anna Oppermann Ensembles 1968-1984, Hamburg und Brüssel 1984, S. 46

H. H.:
Warum Ersatzproblem?

A.O.:
Das war eine Ironisierung im Hinblick auf den Anspruch der Zeit damals, in der gefordert wurde, künstlerische Tätigkeit dürfe nur zugelassen werden, wenn sie gesellschaftspolitisch relevant, also geeignet sei, die Gesellschaft zu verändern, sie zu verbessern oder für sie nützlich zu sein. Alle Tätigkeit, die diesen Ansprüchen nicht genügte, wurde als Auseinandersetzung mit Ersatzproblemen diffamiert. Ersatzproblem am Beispiel Bohnen ist daher selbstironisch; ich habe mir den Vorwurf damals attestiert, ohne mich mit ihm zu identifizieren. Auf vielen Zeichnungen, die im Ensemble enthalten sind, habe ich die geforderten Ansprüche in Vorwürfe an mich formuliert ...

Außerdem enthält das Ensemble zahlreiche Zitate über Hysterie und hysterische Phänomene. Und wenn ich mich recht erinnere, habe ich die Auseinandersetzung mit hysterischen Phänomenen auch in den Manifesten der Surrealisten gefunden, wo Intensität und Suggestibilität angesprochen werden, die an Hysterie gekoppelt und Suggestibilität angesprochen werden, die an Hysterie gekoppelt sind, dort aber als positiv angemerkt werden. Sonst wird hysterisch und das, was damit zusammenhängt, als krankhaft bezeichnet. Hysterische Phänomene finde ich, auch heute noch, im Hinblick auf meine Arbeit spannend. Ganz dicht heran gehen können, ganz intensiv mit etwas verbunden sein, schließt den Blick auf das Drumherum, die Erinnerung, aus. Je intensiver du sein willst, desto mehr mußt du in der Lage sein, alles andere zu verdrängen, zu vergessen. Wenn du es aber nicht schaffst, aus diesem Zustand wieder herauszukommen, dann bist du in der Tat hysterisch, Hysteriker, der ständig nur von äußeren Reizen veranlaßt wird, von einem Punkt zum anderen zu springen, und nie in der Lage ist, auch frühere Erlebnisinhalte, Erfahrungswerte und Geschichte in der Beurteilung eines Gegenstandes assoziierend heranzuziehen. Man ist hilflos der Manipulierbarkeit ausgeliefert durch den Mangel der Fähigkeit, bei einem aktuellen Ereignis relativierende Kritik einzubringen, Erfahrungskomplexe zu berücksichtigen. (Womit nur ein einzelner Aspekt hysterischer Phänomene angeführt wäre.) Natürlich ist es besser, wenn man nicht mehr hilflos ausgeliefert ist, wenn man die Ebenen wechseln kann, wenn man in der Lage ist, sowohl dicht dran zu sein, als auch weit weg zu gehen. Dies versuche ich u. a. in meiner Arbeit sichtbar zu machen. Distanz und Nähe, Vergrößerung des Details und Zusammenfassung vieler kleiner Teile, was aus der Distanz nur möglich ist, so wie der Vergleich des Kleinteiligen mit dem Drumherum und den Vergrößerungen auch aus der Distanz nur möglich ist. Distanz konkret in der Darstellung des Gegenstandes, aber auch metaphorisch in der thematischen Auseinandersetzung gemeint.