Anna Oppermann: Interview with Herbert Hossmann 1983 (in part)
in the catalog: Anna Oppermann Ensembles 1968-1984, Hamburg and
Brussels 1984, p. 36
A.O.:
Für mich war der Spiegel -- das Ausgrenzen der Wirklichkeit --
ein Schlüsselerlebnis. Ich nehme einen Spiegel und habe um den
Spiegel herum Wirklichkeit und im Spiegel die gespiegelte Wirklichkeit,
die im Kontrast zur Wirklichkeit um den Spiegel steht. Dadurch
wird die sich im Spiegel befindliche, von einem Ort an den anderen
Ort transportierte gefrorene "Wirklichkeit" zum Bild. (Das Sucherphänomen,
wie ich es im Lindenblütenblatt-Ensemble mit dem Guckrähmchen demonstriert habe,
ist für mich ein weiterer Aspekt dieser Bildfindung. Man verwendet
den Motivsucher und hat unendlich viele Bilder.)
Die im Spiegel gespiegelte Wirklichkeit ist verfremdet durch den
Ausschnitt. Das hat etwas poetisch Irrationales und Phantasieanregendes.
Wenn ich den Spiegel, vor dem Fenster sitzend, auf meine Knie
gelegt habe, dann war der Himmel und das Fenster in mir, das war
wunderbar, verbunden mit dem Gefühl, das Freud und Ehrenzweig
u. a. als ozeanisch bezeichnet haben. Ich habe damals dies Bild
gemalt: ich sitze, und man sieht auf dem Bild meine Knie und meine
Hände, mit denen ich den Spiegel halte, in dem sich wieder der
Himmel und der Fensterrahmen des geöffneten Fensters spieglen.
Auch jetzt noch ist mit diesem Bild die Erinnerung an dieses Glücksgefühl
verbunden. In der Zeit sind viele ähnliche Bilder und Zeichnungen
entstanden, die zum Teil im Spiegelensemble enthalten sind, bisweilen dort zitiert werden.
Mit dem Spiegel konnte ich auch die Zimmerdecke nach unten holen,
eine Pflanze auf die Bettdecke oder zwischen die Bücher zaubern.
Auch die Bilder wird man im Spiegelensemble entdecken können.
H. H.:
Kannst du etwas zu der "Kresse" im Spiegelensemble sagen?
A.O.:
Ich habe häufig geträumt, ganz klein zu sein, mich zwischen Pflanzen
zu befinden, beschützt, wie im Märchen zu sein -- das Däumlingsphänomen
Ich hatte damals in der Küche eine kleine Fensterbank, auf der
stand die Kresse, die ich wegen ihrer jungen, frischen, hellgrünen
Blätter mochte, und dazwischen saß eine winzige kleine Indianerin
aus einem Ausschneidebogen für Kinder.