Anna Oppermann: Rhinozeros mit Dackelbeinen vergewaltigt unschuldigen Juso (ist die freiheitlich demokratische Grundordnung noch zu retten?) - siehe auch Kunstforum Nr. 32, S. 13.

in: Extrablatt - 150 Jahre Kunstverein Frankfurt, Frankfurt 1979, o.S.

"Ausstellungsmacher (in engem Clinch mit dem Kommerz) ...

Ein negativer (und positiver) Aspekt simplifizierender Vermittlungsbemühungen ...

Andere Beispiele ...

Sechs Aspekete zum Problem Kunstvermittlung ...




Rhinozeros mit Dackelbeinen vergewaltigt unschuldigen Juso! (ist die freiheitlich demokratische Grundordnung noch zu retten?) -- siehe auch KUNSTFORUM Nr.
32 S. 13

"Ausstellungsmacher (in engem Clinch mit dem Kommerz) als Mörder kritischer Künstler? (In der Nacht zum
13. 12. fand man zufällig die zum Skelett abgemagerte aber offenbar erfrorene Leiche des Künstlers Gotthelf P. Dieser mit den Räumlichkeiten vertraut, die er als Unterschlupf benutzte -- er war in dem Haus vor 3 Jahren mit einer Arbeit ins Gerede gekommen, die sich kritisch mit ... usw. auseinandersetzte, das den Verfassungsschutz veranlaßte einzugreifen, was zwar keinen Schuldennachweis erbrachte jedoch Künstler P. seiner existentiellen Grundlage beraubt --, wurde Opfer eines Defektes im Heizungssystem."

Wenn ich will, daß dieser (Zeitungs-)text gelesen wird, muß ich wohl einfach (verständlich?) formulieren, Fremdwörter vermeiden und möglichst mit einem provozierenden Ausspruch beginnen, da dies angeblich der Lesegewohnheit, Erwartungshaltung und dem Fassungsvermögen der Adressaten entspricht(?)

Im Folgenden habe ich versucht, "einfach" über Simplifikation (Vereinfachung) zu schreiben, wobei mir gestattet sei, das Fremdwort zu benutzten, weil darin etwas mitschwingt von simpel = doof. (Wohingegen Vereinfachung zugegeben nicht in jedem Fall verwerflich sein muß.)



Ein negativer (und positiver) Aspekt simplifizierender Vermittlungsbemühungen ist, daß die Simplifizierung, zumal wenn sie gleichzeitig witzig und "Moralfingerdrohend" ist, eine Wirkung unweigerlich nicht verfehlt. "Irgendetwas Wahres ist da eigentlich sogar dran! -- das ist die gängige Reaktion auf manches Pamphlet. Diese Reaktion ärgert zuweilen, weil sie oft berechtigt und nicht berechtigt zugleich ist, da der "starke Ausspruch" zugleich stimmt und wieder nicht stimmt, da natürlich irgendetwas immer "irgendwo dran ist", selbst auch gleichzeitig an einer ganz und gar entgegengesetzten Behauptung. Tatsache ist, daß eine (simplifizierende) Affektäußerung, die immer subjektive ("innerliche") Anteilnahme und Betroffenheit eines Menschen vorauszusetzen scheint, eine gewisse Aura von Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit hat. Nun gehöre ich zwar nicht zu denen, für die "Emotion" oder "subjektiv" eine Art Schimpfwort sind, aber man ist leider häufig nicht in der Lage zu beurteilen, ob das Subjekt bewußt oder unbewußt Theater spielt, weniger oder mehr fremdbestimmt ist, gezielt oder intuitiv manipuliert -- etwas, daß zu ergründen ich noch spannender finde, seit man nicht mehr ständig den coolen Geist Objektivität anruft (meistens kam er nicht oder wenn, dann nicht ohne schlechtes Gewissen wegen der zu recht vermuteten Anteile an Subjektivität, Zufall, "irgendwie"). Seit einiger Zeit geht man nun soweit, subjektive Anteilnahme sogar zu fordern, ("da nur innere Betroffenheit zu effektivem Handeln motiviert") -- Subjektivität z. B. auch bei der Bestimmung von Kunstqualität. Das ist bestimmt ehrlicher, aber es könnte bewirken, daß Neugier, Untersuchungsdrang eher dahingehen, in der behaupteten Anteile von "Fremdbestimmtsein" auszumachen. (Damit habe ich vor Jahren bei mir selbst angefangen).

Jedenfalls kann das Wissen um bestimmte Verhaltensmechanismen gezielt zur Manipulation eingesetzt werden, was im Karrierekampf, in der Werbung, in den Medien, in der Propaganda auch ständig passiert. Wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse werden seit langem benutzt, schwache Punkte auszumachen und entsprechend darauf abzielende Strategien zu entwickeln.

Und was, wenn man in eine Richtung manipuliert, die man eher gesund findet? Jetzt wird's schwierig: also auslassen, weglassen, vereinfachen, hervorheben, um deutlich (verständlich?) zu sein, ist Holzhammer faschistoid bei Leni Riefenstahls Propagandafilmen jedoch gut bei Eisenstein, Kuhle Wampe, "oder so"? (Diese Frage kann ich zur Zeit nicht beantworten.)

Im letzten Absatz versuchte ich nachzuahmen etwas, das häufig in effektvollen Texten praktiziert wird, nämlich
1. den großen Weitblick mit pseudo-wissenschaftlichem Touch, 2. schon Breitgewalztes kurzzufassen, 3. sich selbst zu loben, 4. Moraldruck wirksam werden zu lassen durch Aufwerfen einer schwer zu beantwortenden Frage, die vom Kritiker selbst nicht beantwortet wird, aber beim Leser Schuldgefühle weckt.



Andere Beispiele: Woher bezieht Ihr eigentlich das Recht auf Existenz als Kulturarbeiter(innen)?" oder "Sprechen wir nicht eine Sprache, die längst über die Köpfe der Betroffenen hinweggeht?"

In diesen Kontext paßt ebenfalls ein Kritiker-Überschrift-Kürzel plus Text anläßlich meiner Ausstellung im Steinernen Haus in Frankfurt 1975 (Ausstellungstitel: "Identität", mit Boltanski, Welch, u. a.), die da lautete "Künstler auf dem Podest?", was mich sehr tangierte, weil es ein im Hinblick auf diese Ausstellung unberechtigter Vorwurf war, der etwa in die Richtung ging: das alles ist Subjektivismus und anmaßend, selbstherrlich angesichts der allgemeinen (objektiven) Probleme in der Gesellschaft. Das abgebildete Foto bezieht sich darauf, (persiflierend), weil der Künstler wirklich (zuweilen) hilflos ausgeliefert ist jedweder Häme und Aggressionsentladung des Bürgers (siehe auch die Kommentare auf den in den Ausstellungen aushängenden Meinungsblättern) und der Presse. Überspitzte, lobende oder diffamierende Behauptungen werden nicht immer oder gar nicht begründet (was selten vermißt wird). Aber selbst wenn Begründungen geliefert werden, so wirkt die Eröffnungsfanfare, der Kraftschreierei beim Weiterlesen im Hinterkopf und sozusagen gleichzeitig zwischen den Zeilen. Kann man sich nur wehren, wenn man die gleichen Waffen benutzt? Da doch mein Ensemble "Kunstvermittlung" zu kompliziert (zu komplex) ist, ein "Labyrinth, das kein Außenstehender mehr nachvollziehen kann"?



Sechs Aspekete zum Problem Kunstvermittlung sollten in diesem Textz angedeutet werden:

1. Über Simplifizierung als notwendiges Vehikel der Vermittlung (wurde aus Platzmangel gestrichen)

2. Subjektivismus (pro und contra) (wurde nur simpel angedeutet)

3. Über polemisierende "Kürzel, Witzel, Moral, Häme" (Simplifikation negativ) Details im Ensemble.

4. Georg Bussmann (kräftig simplifizierend) loben (ist hiermit getan), weil er zu den wenigen Kunstvermittlern gehört, die (wenigstens ab und zu und mehr oder weniger) Ideen, Mut und Engagement einbringen (siehe auch im Ensemble "über die speziellen Arbeitssituation[en] von Kunstvereinsleitern", Prägung des Charakters durch den Beruf" usw.)

5. Erwähnung meines (konstruktiven) Vorschlags zur Gestaltung einer Bundeskunsthalle (im Ensemble "Problemauftrag" -- hat offenbar niemand entdeckt): Ausstellungsräume benutzen (in Zusammenarbeit von Künstlern und Spezialisten anderer Fachbereiche) zur gründlichen Aufklärung der Bürger über allgemeine Themen, die sonst immer den Simplifizierungszwängen ausgeliefert, nicht ausführlich genug in Muße dargeboten oder aufnehmbar sind. Ausstellungsräume über (je Thema ein Raum): Wozu braucht der Bürger Kunst -- Sensibilisierung aller Sinne -- Faschismus -- Krieg/Aggression -- Kapitalismus --Kommunismus -- Außenseiter -- Kreativität -- Kommunikation -- Sex -- Verhaltensstörungen -- Sozialismus -- Rausch -- Manipulation -- Lieschen Müller -- Psychotherapeutische Techniken -- Religion -- Kunst usw. (Titel müßten zum Teil noch ergänzt und modifiziert werden. Übrigens bin ich nicht naiv genug, eine Realisation dieser Idee zu erwarten -- außerdem will ich nicht etwa schon vorhandene herkömmliche Museen abschaffen.)

6. Wollte ich hinweisen auf die prekäre Situation gewisser (experimentell bzw. kritisch auf ihre Umwelt reagierender Künstler und ein paar simplifizierend schlagkräftige Begründungen anführen, weshalb man sie braucht (traute ich mich nicht, -- oder der Platz reichte nicht aus).

Eine im Juli im Kunstverein in Hamburg stattfindende Ausstellung mit dem Titel "Eremit? Forscher? Sozialarbeiter? (Neues Selbstverständnis des Künstlers?)", die wir, eine Gruppe von Künstlern und Uwe M. Schneede konzipiert haben, versucht dieses Thema einzukreisen. Ich bin schon jetzt gespannt auf die BILD-Zeitungsüberschrift! Sprechen wir nicht dieselbe Sprache?

Dieser Text war mein erster Versuch im schlechten Feuilleton-Stil etwas über Kunstvermittlung zu vermitteln. -- Nur bin ich dem Versuch, effektvolle "Simpel-Kraftgebärde" zu kopieren, durch Selbstkritik in den Rücken gefallen (das geschieht mir recht!), -- was kein fähiger Texter und Vermittler jemals täte. Leider!


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