Anna Oppermann: Interview mit mir selbst, 1984

(Manuskript aus dem Nachlaß), abgedruckt in Katalog: Anna Oppermann. Das Hehre und das Banale. Besinnungobjekte über das Thema Verehrung -- Anlaß Goethe, Weimar 1996, S. 28

 

 


O.: Es wundert mich, daß ausgerechnet Du im Goethejahr auch auf den Karren springst. Hättest Du ihn Dir auch vorgenommen, wenn Du keinen Auftrag bekommen hättest?

A.: Ganz sicher wäre ich nicht auf die Idee gekommen und ich leugne nicht die Tatsache: ein Honorar für die Arbeit zu bekommen war mit ein Grund, den Auftrag anzunehmen. Schließlich sind die Einnahmemöglichkeiten bei meiner Arbeitsweise rar. Allerdings hat mich das Thema dann doch sehr gepackt, sonst hätte das Ensemble kaum diesen Umfang angenommen. [...]

O.: In Deinem Text sagst Du, daß Deine Anfangseinstellung zu Goethe geprägt war von Aversion. Hat sich daran durch die intensive Beschäftigung mit ihm etwas geändert?

A.: Dies würde sich diffus aber am angemessensten beantworten, wenn Du Dich selbst in das Ensemble begibst. Ich habe dort einen Besucher manipulierend gefragt: "Na, wirkt er denn auf Dich etwa sympathisch?" Antwort: "Nee!" Meinen anfänglichen Haß auf den Säulenheiligen, und den Haß verstärkend auf seine anhimmelnden drohenden Würdenträger, diesen Haß habe ich nie ganz herausgelassen, jedenfalls nicht in der öffentlichen Präsentation, weil ich vermutete, er würde ungerecht sein. Es wäre dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen, wie das, was ich den Himmelhebern vorwerfe. Durch seine Texte geistert zuweilen die Formulierung "falscher Subjektivismus". Für mich würde unter diesen Begriff jede persönliche affektive Reaktion fallen, die etwas anderes meint, als sie vorgibt. Wenn ich jetzt sagen würde, der Kerl steht mir bis zum Hals und quillt mir allmählich aus Augen und Ohren, so wäre das sicher -- etwas Punk -- effektvoll und bezöge sich aber eher auf zuweilen auftretende rein arbeitstechnische Behinderungen. Umgekehrt, was zwingt Menschen, einen Einzelnen in den Himmel zu heben? Dies ist etwas, was mich am Thema interessiert, durch mich ist er, durch meine Beschäftigung mit ihm, seinem Werk, dem zeitgeschichtlichen Drumherum, ein Mensch geworden mit Fehlern, Schwächen, aber auch Qualitäten. Sympathisch ist er mir nicht geworden, schon gar nicht verehrungswürdig. Allerdings hat das Wort Verehrung in meiner eigenen Bewertungsskala, angewandt auf einen einzelnen Menschen, keinen Platz. Das ist mir deutlich geworden. Es hat für mich zu viel von "Verdrängung", "Verbrämung", von "non plus ultra", "Selbsttäuschung", "selbstgewollter Unmündigkeit".

O.: Irgendwo an exponierter Stelle steht ein Satz aus dem Prometheusgedicht "Ich Dich ehren, wofür?" Ist es so zu verstehen, daß Du nichts gefunden hättest, wofür Du ihn ehren könntest?

A.: Wie ich schon erwähnte, natürlich fand ich Schätzenswertes. Ich gebe zu, so wie das Zitat am Anfang plaziert war, hatte es eher etwas diffamierendes. Aber es war auch für mich die Aufforderung, der Sache auf den Grund zu gehen. Es war diesem Zitat auch ein Text aus dem Faust zugeordnet, der lautete wie folgt: "Verflucht, woraus die hohe Meinung, womit der Geist sich selbst umfängt, verflucht das Blenden der Erscheinung, die sich an unsere Sinne drängt."


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