Anna Oppermann: Besinnungsobjekte über das Thema Verehrung -- Anlaß Goethe


I. in: the brochure for the exhibit and television broadcast Goethe in Farbe, Hessischer Rundfunk, Frankfurt 1982

II. expanded and reworked version in the catalog: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Stuttgart 1982, pp. 88-91
English translation

III. also in the catalogs: Anna Oppermann Ensembles 1968-1984, Hamburg and Brussels 1984, pp. 172-183 and in: Anna Oppermann. Das Hehre und das Banale. Besinnungobjekte über das Thema Verehrung -- Anlaß Goethe, Weimar 1996, p. 7
English translation

II.


»Besinnungsobjekte über das Thema Verehrung, Anlaß Goethe«, das ist der Titel der abgebildeten Arbeit. Als Auftragsarbeit für eine Fernsehsendung war sie für mich der Anlaß, mich einem längst Verstorbenen, einer Zeit, die Geschichte ist, zu nähern.

Es schien verlockend, denn es brauchte hier einmal nicht die Rücksichtnahme den Arbeitsablauf zu stören, die bei Lebenden die Ehrlichkeit unmöglich macht.

Um es vorweg zu sagen, meine Verehrung gilt eher Goethes risikofreudigeren Künstlerkollegen. Meine erste Reaktion war sogar Aversion, die aber, wie sich schnell herausstellte, unter anderem durch den mit Goethe verbundenen Erinnerungskomplex Schule begründet war. Wurde doch seine Größe von ungeschickten Pädagogen dazu benutzt, um an ihr unsere Erbärmlichkeit und Minderwertigkeit aufzuzeigen.

Mich interessiert, herauszufinden, welchen Künstlertypus Goethe verkörpert. Wie war sein Verhältnis zur Natur, zur Realität, zur Politik, zur Kunst seiner Kollegen, welches waren die Voraussetzungen zu seiner Karriere -- worauf gründet sich dieses Übermaß an Verehrung durch den Bildungsbürger? Wie und warum fügte er sich ein in die höfische Hierarchie (»Fürstentknecht«)? Haben seine Anpassungsbemühungen womöglich seine künstlerischen Intentionen negativ beeinflußt?

Das Ausgangsobjekt ist ein bühnenähnliches Gebilde aus Stoff und Draht auf dem Grundriß eines Halbkreises, in dessen Mitte sich eine augenähnliche Öffnung befindet, deren Rundbogen sich in einem dahinterliegenden Arrangement aus Abbildungen des Bergwerks an der Ilmenau fortsetzen. Neben der Öffnung ein gezeichnetes Auge Goethes, sowie Zitate, in denen das Wort Auge vorkommt. Ebenso ein Hinweis auf Goethe als Naturwissenschaftler: eine Abbildung seiner Steinesammlung.

Die Bezugspflanze meines Ensembles ist die Eiche. (Eicheln, Laubblätter, Aststücke.) Der Pflanze sind zugeordnet eine Zitatensammlung über Natur, Texte, in denen das Wort Eiche oder Eichel vorkommt, Texte über Baumkult, Baumfrevel, die Eiche als Kultbaum, den Eichenhain in Dodona. Es handelt sich hier um einen schon von Homer erwähnten heiligen Hain, in dessen Zentrum eine heilige Eiche steht (von der Eiche zur Klassik). Andererseits wird das Wildwachsende auf Eichenabbildungen in Beziehung gesetzt zur Jugend, zum Sturm-und Drang-Goethe, dem dann der »Prometheus« sowie Zitate über Jugend, Genie, Wahrheit, Schaf (Schäferspiel -- Anakreontik) zugeordnet werden.

Den jugendlichen Goethe habe ich mir selber sympathischer gemacht durch eine stark idealisierende Abbildung (». . . und glühtest jung und gut«). Eine wichtige Rolle für die Imagebildung Goethes spielte Eckermann (Ecker gleich Eichel). Den Abbildungen Eckermanns ist ein Zitat von ihm beigefügt, das auf seine ärmliche Herkunft hinweist, die wiederum nicht unwichtig sein mag im Hinblick auf den besonderen Verehrertypus, den er darstellt. (». . . Wenn der Herbstwind die Bäume schüttelte, sammelte ich Eicheln, die ich metzenweise an wohlhabenere, ihre Gänse damit zu füttern, verkaufte . . . «)

Weitere thematische Eingrenzungen in Form von Zitaten, Zeichnungen, Fotos im Ensembleaufbau (festgemacht an folgenden Stichworten)

-- Klassik, Stoa, Humanismus

-- über Farbe

-- Jugend, Eltern, Frankfurt

-- Verehrung des verstorbenen Goethe, Romantik

-- Dokumentation der Vorgehensweise

-- Klassizismus, Alter, Weimar

-- Denkmal, Kritik an Goethe, seine Reaktion auf Kritik

-- Goethe über Deutsche

-- Frauen, Liebe, usw.

Alle im Ensembleaufbau herausgehobenen Zitate stammen von Goethe, die Kritik über ihn von Novalis.

An vielen seiner Äußerungen lassen sich die Spannungen zwischen klassizistischer Kunstauffassung und den Ideen der Romantik festmachen (»Klassisch ist das Gesunde und romantisch das Kranke«). Diese Auseinandersetzungen sind aktuell sowohl in bezug auf meine eigene Arbeit als auch im Hinblick auf die Kunstszene.

Die Untersuchungen werden fortgesetzt.



[English translation]

"Objects of reflection on the theme of adoration, on the occasion of Goethe" that's the title of the work. It was commissioned for a television programme, and it gave me the opportunity to come to terms with a man -- long dead -- and a time which is part of the past.

It seemed really tempting because I didn't have to worry about disturbing the creative process, which takes away the sincerity with the living.

I have to tell you straight away that I was rather more fascinated with Goethe's adventurous artistic contemporaries. My first reaction was even one of aversion. But as it turned out, it was the type of aversion carried over from schooldays, ingrained with a rote-learning complex associated with Goethe. His prominence was used by somewhat imprudent teachers to demonstrate our misery and inferiority to.

I was interested in finding out what type of artist Goethe embodied. What was his relationship to nature, to reality, to politics, to art, to his contemporaries, what did he need to succeed -- what was it that caused the educated classes to adore him to such an exaggerated extent? How and why did he fit in to the courtly hierarchy ("court prince"). Did his efforts to "fit in" have any negative influence on his artistic intentions?

The initial object is a stage-like construction of cloth and thread in the shape of a semi-circle in the middle of which is an eye-like opening. Its rounded arches are continued in the arrangement of images of the mine on the Ilmenau located behind the opening. Next to the opening a drawing of one of Goethe's eyes as well as quotations containing the word "eye". And a reference to Goethe as a natural scientist: a picture of his collection of stones.

A thematic plant in the Ensemble is the oak (acorns, fallen leaves, parts of branches). A collection of quotations is related to the plant: quotations about nature; passages in which the word oak or acorn arise, passages about tree worship, malicious damage to trees, the oak as a cult tree, the oak grove in Dodona. This deals with a holy grove cited even by Homer in the centre of which stands a holy oak (from the oak to the classics). On the other hand, the wild growth on images of oaks is related to youth to the poignant and expressive (Sturm und Drang) Goethe to which "Prometheus" as well as quotations on youth, genius, truth, sheep (sheep game/ sheep play/frolicking -- anacreontic) have been assigned.

I have made the youthful Goethe a bit more amiable using a strongly idealised illustration (". . . und glühtest jung und gut" / "... And did it not, young and good, Cheated, glow thankfulness" [transl. by M. Hamburger]). An important role in the building of Goethe's image was played by Eckermann (Eckermann in German is synonymous with Eichel = acorn). Eckermann's illustrations are accompanied by a quotation from him, referring to his somewhat impoverished origins -- itself not so unimportant in consideration of the type of admirer he was to represent (". . . Wenn der Herbstwind die Bäume schüttelte, sammelte ich Eicheln, die ich metzenweise an wohlhabenere, ihre Gänse damit zu füttern, verkaufte" / " ... and when the autumn winds shook the trees I gathered acorns, which I sold by the peck to persons of opulence, to feed their geese ..." [transl. by J. Oxenford]).

Other topical categories represented by quotations, sketches, photographs in the Ensemble arrangement (in point form)

- the classical period, stoics, humanitarianism

- on colour

- youth, parents, Frankfurt

- admiration for Goethe after his death, romanticism

- documentation

- classicism, age, Weimar

- memorial, criticism of Goethe, his reaction to critcism

- Goethe on German

- women, love, etc.

All the quotations highlighted in the Ensemble come from Goethe, criticism about him comes from Novalis.

You can read the tension between "classical" understanding of art and the ideas of romanticism in many of his statements ("lassisch ist das Gesunde und romantisch das Kranke" / "What is Classical is healthy; what is Romantic is sick." [transl. by E. Stopp]). This conflict is still present today, in relation to my own work as well in respect of the art scene generally.

The work will go on.

[Translation: Michael Alger
Original German text and bibliographical information see above]





III.


»Besinnungsobjekte über das Thema Verehrung, Anlaß Goethe« ist
entstanden als [eine] Auftragsarbeit für eine Fernsehsendung und war für mich der Anlaß, mich einem längst Verstorbenen, einer Zeit, die Geschichte ist, zu nähern.

Es schien verlockend, denn es brauchte hier einmal nicht die Rücksichtnahme den Arbeitsablauf zu stören, die bei Lebenden die Ehrlichkeit unmöglich macht.

Um es vorweg zu sagen, meine Verehrung gilt eher Goethes risikofreudigeren Künstlerkollegen. Meine erste Reaktion war sogar Aversion, die aber, wie sich schnell herausstellte, unter anderem durch den mit Goethe verbundenen Erinnerungskomplex Schule begründet war. Wurde doch seine Größe von ungeschickten Pädagogen dazu benutzt, um an ihr unsere Erbärmlichkeit und Minderwertigkeit aufzuzeigen.

Mich
interessiert [interessierte], herauszufinden, welchen Künstlertypus Goethe verkörpert [verkörperte]. Wie war sein Verhältnis zur Natur, zur Realität, zur Politik, zur Kunst seiner Kollegen, welches waren die Voraussetzungen zu seiner Karriere -- worauf gründet sich dieses Übermaß an Verehrung durch den Bildungsbürger? Wie und warum fügte er sich ein in die höfische Hierarchie (»Fürstentknecht«)? Haben seine Anpassungsbemühungen womöglich seine künstlerischen Intentionen negativ beeinflußt?

Das Ausgangsobjekt ist ein bühnenähnliches Gebilde aus Stoff und Draht auf dem Grundriß eines Halbkreises, in dessen Mitte sich eine augenähnliche Öffnung befindet, deren Rundbogen sich in einem dahinterliegenden Arrangement aus Abbildungen des Bergwerks an der Ilmenau fortsetzen. Neben der Öffnung ein gezeichnetes Auge Goethes, sowie Zitate, in denen das Wort Auge vorkommt. Ebenso ein Hinweis auf Goethe als Naturwissenschaftler: eine Abbildung seiner Steinesammlung.

Der Bezugspflanze meines Ensembles sind zugeordnet eine Zitatensammlung über Natur, Texte, in denen das Wort Eiche oder Eichel vorkommt, Texte über Baumkult, Baumfrevel, die Eiche als Kultbaum, den Eichenhain in Dodona, einen schon von Homer erwähnten heiligen Hain, in dessen Zentrum eine heilige Eiche steht (von der Eiche zur Klassik). Andererseits wird das Wildwachsende auf Eichenabbildungen in Beziehung gesetzt zur Jugend, zum Sturm-und-Drang-Goethe, dem dann der »Prometheus« sowie Zitate über Jugend, Genie, Wahrheit, Schaf (Schäferspiel -- Anakreontik) zugeordnet werden.

Den jugendlichen Goethe habe ich mir selber sympathischer gemacht durch eine stark idealisierende Abbildung (». . . und glühtest jung und gut«). Eine wichtige Rolle für die Imagebildung Goethes spielte Eckermann (Ecker gleich Eichel). Den Abbildungen Eckermanns ist ein Zitat von ihm beigefügt, das auf seine ärmliche Herkunft hinweist, die wiederum nicht unwichtig sein mag im Hinblick auf den besonderen Verehrertypus, den er darstellt. (». . . Wenn der Herbstwind die Bäume schüttelte, sammelte ich Eicheln, die ich metzenweise an wohlhabenere, ihre Gänse damit zu füttern, verkaufte . . . «)

Fast alle im Ensembleaufbau herausgehobenen Zitate stammen von Goethe.

An vielen seinerÄußerungen lassen sich die Spannungen zwischen klassizistischer Kunstauffassung und den Ideen der Romantik festmachen (»Klassisch ist das Gesunde und romantisch das Kranke«). Diese Auseinandersetzungen sind aktuell sowohl in bezug auf meine eigene Arbeit als auch im Hinblick auf die Kunstszene.

[the
red marked passages label the version from 1984, the yellow ones those from 1996]



[English translation]

"Objects of reflection on the theme of adoration, on the occasion of Goethe" was commissioned for a television programme, and it gave me the opportunity to come to terms with a man -- long dead -- and a time which is part of the past.

It seemed really tempting because I didn't have to worry about disturbing the creative process, which takes away the sincerity with the living.

I have to tell you straight away that I was rather more fascinated with Goethe's adventurous artistic contemporaries. My first reaction was even one of aversion. But as it turned out, it was the type of aversion carried over from schooldays, ingrained with a rote-learning complex associated with Goethe. His prominence was used by somewhat imprudent teachers to demonstrate our misery and inferiority to.

I was interested in finding out what type of artist Goethe embodied. What was his relationship to nature, to reality, to politics, to art, to his contemporaries, what did he need to succeed -- what was it that caused the educated classes to adore him to such an exaggerated extent? How and why did he fit in to the courtly hierarchy ("court prince"). Did his efforts to "fit in" have any negative influence on his artistic intentions?

The initial object is a stage-like construction of cloth and thread in the shape of a semi-circle in the middle of which is an eye-like opening. Its rounded arches are continued in the arrangement of images of the mine on the Ilmenau located behind the opening. Next to the opening a drawing of one of Goethe's eyes as well as quotations containing the word "eye". And a reference to Goethe as a natural scientist: a picture of his collection of stones.

A thematic plant in the Ensemble is the oak (acorns, fallen leaves, parts of branches). A collection of quotations is related to the plant: quotations about nature; passages in which the word oak or acorn arise, passages about tree worship, malicious damage to trees, the oak as a cult tree, the oak grove in Dodona. This deals with a holy grove cited even by Homer in the centre of which stands a holy oak (from the oak to the classics). On the other hand, the wild growth on images of oaks is related to youth to the poignant and expressive (Sturm und Drang) Goethe to which "Prometheus" as well as quotations on youth, genius, truth, sheep (sheep game/ sheep play/frolicking -- anacreontic) have been assigned.

I have made the youthful Goethe a bit more amiable using a strongly idealised illustration (". . . und glühtest jung und gut" / "... And did it not, young and good, Cheated, glow thankfulness" [transl. by M. Hamburger]). An important role in the building of Goethe's image was played by Eckermann (Eckermann in German is synonymous with Eichel = acorn). Eckermann's illustrations are accompanied by a quotation from him, referring to his somewhat impoverished origins -- itself not so unimportant in consideration of the type of admirer he was to represent (". . . Wenn der Herbstwind die Bäume schüttelte, sammelte ich Eicheln, die ich metzenweise an wohlhabenere, ihre Gänse damit zu füttern, verkaufte . . ." / " ... and when the autumn winds shook the trees I gathered acorns, which I sold by the peck to persons of opulence, to feed their geese ..." [transl. by J. Oxenford]).

Almost all the quotations highlighted in the Ensemble come from Goethe, criticism about him comes from Novalis.

You can read the tension between "classical" understanding of art and the ideas of romanticism in many of his statements ("What is Classical is healthy; what is Romantic is sick." [transl. by E. Stopp]). This conflict is still present today, in relation to my own work as well in respect of the art scene generally.

[Translation: Michael Alger
Original German text and bibliographical information see above]



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