Anna Oppermann: Raumprobleme

I. in Katalog: Künstlerische Raum-Programme, Baakscher Kunstraum, Köln 1979, S. 75-77 (der Abschnitt "Ensemble und Raum (allgemein)" auch abgedruckt in Katalog: Anna Oppermann Ensembles 1968 bis 1984, S. 97)

II. partial English translation

I.


Das, was ich Ensemble nenne ...

Das Thema eines Ensemble

Ensemble "Raumprobleme" (Plan des Vorgehens)

Ensemble und Raum (allgemein)



Das, was ich Ensemble nenne, entsteht durch Anwendung einer bestimmten Methode. Wichtige Bestandteile dieser Methode sind unter anderem die Wahrnehmung bzw. Stimulierung verschiedener Bewußtseinsebenen, in denen Begriffe wie z. B. Chaos und Ordnung einen neuen Bewertungsumraum erhalten.



Das Thema eines Ensembles

Jedes Ensemble umschreibt (beschreibt) ein Thema (Konflikt/Problem). Bei vielen Ensembles ergibt sich das Thema unwillkürlich im Verlaufe des Arbeitsprozesses (der sich zum Teil schon über Jahre hinstreckt). Andererseits ist es jedoch auch möglich, ein Thema von Anfang an gezielt zu bearbeiten (zielgerichtete Assoziationsauslösung). Das verbalisierte Thema, aufgeschrieben mit großen Buchstaben auf dem Fußboden innerhalb des Arrangements, ist auch (aesthetisch) formal Bestandteil des Ensembles und bildet zusammen mit den Markierungskreuzen und -linien eine lockere Eingrenzung, eine Art magische Bannmeile.

Inhaltlich ist die Formulierung des Themas bewußt (etwas provozierend) banal, plump, mindestens unprätentiös oder ironisierend verschroben. Wichtig ist dabei, daß die Formulierung des Themas nicht in Konkurrenz gerät zu wissenschaftlicher Terminologie und entsprechende Erwartunqshaltungen des Betrachters provoziert. Der Verdacht, naiv zu sein, wird in Kauf genommen, zumal einige Details differenzierter sind und höhere Anforderungen an die Informationsaufnahmebereitschaft des Rezipienten stellen.



Ensemble "Raumprobleme" (Plan des Vorgehens)

1. Skizzen vom Umraum des Arbeitsplatzes und des Erlebnisraumes (sich zeichnend an das Thema herantasten)

2. Brainstorming (zielgerichtete Assoziationsauslösung zum Thema
1. und 2.: Phase der Konzentration und Ausdehnung (Meditation, Katharsis)

3. Zustandsfotos von 1. und 2.

4. Themenskizze vom Zustandsfoto

5. Herstellung eines Modells der Raumecke für das Ensemble

6. Themenskizze für das Raummodell

7. Foto vom Modell und Themenskizze und Zustandsfoto (sieheAbbildung)

8. Kurzgefasste Aufzählung des Vorgehens (eben dieser Plan von 1. bis 15.)

9. Herstellung eines kurzgefaßten Themendiagramms (siehe Abbildung)
3. bis 9.: Phase der Reflexion (Zusammenfassen, Ordnen, Einordnen)

10. Realisation des Modells im Raum (unter Berücksichtigung der Ensemblekriterien) mit Hervorhebungen -- Betonungen -- von mir wichtigen Details (Aussortieren privater Äusserungen)

11. Foto von der Rauminstallation

12. Themen-(Guck-)Plan für das Foto (11.)

13. Vereinfachte Skizze des Standortes des Themen-(Guck-)Plans

14. Erneutes Brainstorming -- Einbeziehen des Erlebnisumraumes während der Ausstellung (mit Reaktionen von Rezipienten)

15. Foto von allem am Ende der Ausstellung. Analyse, Reflexion, Modifikation u.s.w.



Ensemble und Raum (allgemein)

Dem persönlichen Interesse und der Zeitdauer der Entstehung eines Ensembles entsprechend gibt es raumfüllende oder kleine Ensembles. Allerdings kann ein umfangreiches Ensemble auch in reduzierter (komprimierter) Form arrangiert werden. Wichtig ist vor allem dabei das Sichtbarwerden der Methode.

Das Ensemble am Arbeitsplatz kann eine andere Form haben als der Aufbau anläßlich einer öffentlichen Präsentation, wo Aspekte der Vermittlung (Kom munikation) stärker berücksichtigt werden. Zwar bezieht das Ensemble den Umraum des Entstehungsortes mit ein (Meditationszeichnungen), jedoch wird der Ausstellungsraum vorwiegend nach formalen, technischen Aspekten berücksichtigt zugunsten einer schon prinzipiell bestehenden inhaltlichen (the mengebundenen) Form.

Ein Ensemble bezieht den Raum (den Umraum, auch im übertragenen Sinne) mit ein. Die offene fragile Form macht das Arrangement verletzbar, zerstörbar; sie weist hin auf seine innere (inhaltliche) Offenheit.

Offen einsehbar sind persönliche, allgemeine und ensemblespezifische Unzulänglichkeiten. Fehler dürfen, müssen sein und dem jeweiligen Entwicklunszustand des Ensembles entsprechen; denn ein Ensemble ist immer auch Reflexionsvorlage weiterer Bemühungen und somit offen für Ergänzungen, Verbesserungen, Veränderungen.

Die Form des Ensembles ist unter anderem Symbol für eine allgemeine Unzulänglichkeit, -- die Unzulänglichkeit, dem bei der Beurteilung eines Objektes theoretisch bestehenden Anspruch gerecht zu werden, und alle Aspekte, z. B. den jeweiligen Wissenstand verschiedener Fachbereiche zu berücksichtigen
(Stichwort: Reizüberflutung, Fachidiotie).

Die Definition von Raum in Begriffen wie Ausdehnung -- Eingrenzung, Offenheit -- Geschlossenheit, Beschränkung -- Unendlichkeit findet an der Methode Ergänzungen in Begriffen wie Ordnung, Chaos, Realität -- Transformation, Erstarrung -- Auflockerung (hehr und banal).

Im Anschluß an diese, schließlich bombastisch wirkende Reihung von Begriffen, sei nicht vergessen, etwas zu erwähnen, was wieder die Methode allgemein betrifft: der Übermensch wurde rausgeworfen.

[um die
rot gekennzeichneten Passagen gekürzt auch abgedruckt in Katalog: Anna Oppermann Ensembles 1968 bis 1984, S. 97]




II.


Ensemble and space (in general)

Relative to the personal interests and the length of the creation of an ensemble, it can be room filling or small. An extensive ensemble can also be arranged in reduced (compressed) form. What is important above all is that the method becomes visible.

The ensemble in the workplace can have a different form than the resulting installation in a public presentation, where aspects of mediation (communication) must be more strongly considered. It is true that the ensemble incorporates its environment (meditation drawings), but the exhibit room is primarily considered for formal, technical aspects, to the benefit of the already principally existing content (theme connected) form.

An ensemble incorporates the room (the environment, also figuratively). The open, fragile form makes the arrangement injurable, destroyable; it indicates the inner (content) openness.

Open to examination are personal, general and ensemble-specific inadequacies. Mistakes may, must be, and correspond with the current development situation of the ensemble. An ensemble is always being reflected upon and considered for further efforts, and is therefore open to supplementation, improvements, changes.

The form of the ensemble is, among other things, symbolic of a general inadequacy, -- the inadequacy, which in the evaluation of an object does justice to theoretically existing claims and considers all aspects, for example the respective knowledge of differing fields of study (Key word: overstimulation, specialist idiocy).

The definition of space in concepts such as extending -- confining, openness -- closedness, limitation -- infinity, finds in the method supplementation in concepts such as order, chaos, reality -- transformation, solidification -- loosening (noble and banal).

Connected to this bombastically working ordering of concepts, one must not forget to mention something which again concerns the method in general: the superman is thrown out.


[Translation: Marie Oamek
Original German text and bibliographical information see above]