Aus den Grundsatzpapieren von Gesamthochschulplanern geht hervor
...
I
Über die Methode:
II
Bild 1:
Bild 2:
Bild 3:
Bild 4:
Bild 5:
Bild 6:
Bild 7:
Bild 8:
Bild 9:
Wie ich anfangs schon erwähnte ...
Feed-back im Anschluß an das Symposion
Fazit
Schluß
Aus den Grundsatzpapieren von Gesamthochschulplanern geht hervor,
daß hier etwas beabsichtigt war, was man eigentlich nur begrüßen
kann: Man wollte weniger Fachidioten! Statt dessen wollte man
die bestmögliche, vielseitigste Entfaltung der Persönlichkeit,
interdisziplinäres Denken und Handeln fördern und das Verständnis
für Andersdenkende, Unterlegene, Überlegene wecken, und man wollte
den Abbau des Macht- bzw. Ohnmachtgefühls. Bewirkt werden sollte
dies durch z. B. Vermeidung des Umwegstudiums (beim Fachwechsel
werden Zwischenprüfungen angerechnet), durch den Abbau der Hierarchien
im Personalbereich und durch Beseitigung von bildungshemmenden,
gesellschaftsschädigenden Schranken des Sozialprestiges, durch
Einheitlichkeit der akademischen Grade (Fachhochschule, Universität),
durch Chancengleichheit im Zugang zum Studium und durch Forschungsmöglichkeit
für alle. Und man wollte "eine Verbindungs- und Annäherungsmöglichkeit
schaffen zwischen Wissenschaft und Praxis", das heißt, man wollte
die Wissenschaftlichkeit der eher anwendungsbezogenen Studiengänge
und umgekehrt die praktische Orientierung der stärker theoriebezogenen
Studiengänge gewährleisten. -- Leider scheint es nicht zu funktionieren,
und dies war der Anlaß, das Symposion zu veranstalten. Die Frage
lautet: Warum funktioniert es nicht? Weil, plump gesagt, die Menschen
nicht danach sind (was ich später zu begründen versuchen werde).
Ich selbst habe, um ein Fachidiotendasein zu vermeiden, eine interdisziplinär
angelegte Arbeitsmethode im künstlerischen Bereich entwickelt.
Die Motivationen sind durchaus denen der Gesamthochschulplaner
ähnlich -- angesichts eines allem zugrundeliegenden, alle betreffenden
?lnformations-Vermittlungs-Dilemmas", wo sowohl im nonverbalen
Bereich, geknüpft an den tradierten Künstlertypus, als auch im
Verhältnis zum Wissenschaftler als anerkanntem Berater irritierende
Vertrauenseinbußen zu konstatieren sind.
Im ersten Teil meines Referates werde ich kurz meine Arbeitsmethode
erklären, da ich meine, daß ein Bericht darüber im Kontext dieses
Symposions nicht ganz uninteressant sein dürfte. Als Beispiel
einer simplifizierenden Vermittlungsbemühung ist der zweite Teil
meines Vortrages gedacht, für den ich eine Comic-Serie hergestellt
habe, um es einmal "ganz einfach" zu sagen.
I
Es handelt sich hier nicht um Sauerkraut (dieses Wort fiel vorhin),
und es ist auch nicht entstanden, wie ein Witzbold mal zu bemerken
wußte, nämlich daß zuerst die Pleonasmen tautologisch paraphrasiert
und dann die Definitionen dialektisch paralysiert werden o. ä.
Allerdings ist dies das Ergebnis von "Grenzüberschreitungen",
man könnte auch negativer sagen: ich sitze in vieler Hinsicht
zwischen den Stühlen. Denn obwohl ich eine Fachausbildung in Malerei,
Grafik und Kunstpädagogik an der HfbK in Hamburg absolviert habe,
arbeite ich als freischaffende Künstlerin seit ca. 15 Jahren so,
daß ich mich kaum einordnen lasse in die zur Verfügung stehenden
Berufskategorien Maler, Fotograf, Bildhauer, Kommunikationswissenschaftler
oder ähnliches, obwohl oder da ich mich in allen diesen Bereichen
ausdrücke. -- Abbildung 1 --
[***] Das, was ich mache, nenne ich Ensemble. Auf den ersten Blick
sieht diese fotografische Abbildung vielleicht wie ein abstraktes
Gemälde aus, auf den zweiten Blick wird man erkennen, daß es sich
um flache und nichtflache, farbige und nichtfarbige Gebilde handelt,
die, zusammen arrangiert und den Raum einbeziehend, so etwas wie
ein Environment bilden. "Ensemble" heißt im französischen "zusammen",
und davon abgesehen, daß ich im oder über die Ensembles gerne
mit anderen zusammenarbeite, sind hier Pflanzen, Podeste, Skizzen,
Zeichnungen, Bilder, kleine Plastiken, Fotos, Fotoleinwände, Texte
zusammen arrangiert. Man erkennt auch ein paar Details, die durch
Vergrößerungen und Wiederholungen stark hervorgehoben sind, und
umgekehrt Zusammenfassungen von Arrangements früherer Zustände
auf Fotoleinwänden, wo Details, nur noch von mir entzifferbar,
zu abstrakten Gebilden zusammenschrumpfen.
Was man auf der Abbildung [ den Abbildungen] nicht erkennt, ist, daß [hier] nicht nur unterschiedliche Bildebenen, Realitätsebenen, Ausdrucksformen,
Medien zusammen arrangiert sind, sondern auch Darstellungen --
visualisiert oder artikuliert -- verschiedener Bewußtseinszustände,
Bewußtseinsebenen, Bezugssysteme (Bewertungsräume), Metaebenen.
Weniger prätentiös, aber ungenauer, könnte man sagen: Es gibt
nebeneinander Offenes -- Geschlossenes, Unfertiges -- Fertiges,
Irrationales -- Rationales, Triviales -- Elitäres, Privates --
Allgemeines, Albernes, Brutales, Tradiertes -- Progressives, Geheimnisvolles
-- Klares, Dummes -- Kluges, Kitschiges, Sinnliches, Idyllisches,
Abstraktes und Theoretisches (Wissenschaftliches). Es gibt Kommentare
von mir und anderen, Umgangssprache, Subsprache, gut Formuliertes.
Es gibt sich Entsprechendes, sich Widersprechendes, sich Bedingendes,
sich Ergänzendes, dem jeweiligen Ensemblethema zugeordnet, aber
auch alles zusammenfassende Definitionen. Das heißt, um dem Betrachter
das scheinbare Chaos zu lichten, gibt es auch Übersichts- und
Themenpläne und Diagramme, sowie einfache, simplifizierende Texte
zur Entstehungsgeschichte des Ensembles und zur Methode allgemein,
die dem Ganzen zugrunde liegt.
Über die Methode:
Im Zentrum des Ensembles befindet sich ein reales Objekt -- am
Anfang ein Fundstück aus der Natur, z. B. ein Laubblatt (später
Menschen, Begebenheiten, Konflikte, Probleme). Ausgehend von diesem
Objekt, entwickeln sich nachfolgende Zustands-, Bewußtseins- und
Handlungsphasen.
1. Meditation:
Die Konzentration in der Meditationsphase wird unterstützt durch
naturalistische Detailzeichnungen vom Objekt.
2. Katharsis:
Diese ist vergleichbar dem Automatismus der Surrealisten oder
dem Brainstorming. Das meint hier ein möglichst spontanes, z.
T. automatisches Reagieren und Assoziieren auf das Objekt, um
unbewußte Äußerungen zu provozieren und sie soweit wie möglich
in Form von Skizzen und Notizen zu fixieren. Dies ist eine Phase
propulsiverAusdehnung, in der alles zugelassen ist, auch Darstellungen,
die, gemessen mit künstlerischen oder allgemeineren Bewertungskriterien,
normalerweise nicht gestattet sind. Der Einfallsreichtum soll
dadurch begünstigt werden, daß zunächst keine Beurteilung bzw.
Kritik der Äußerungen hinsichtlich ihrer Qualität und Tauglichkeit
erfolgen darf. Ergebnisse dieser Phase werden in öffentlichen
Ausstellungen nur auszugsweise oder schwer zugänglich präsentiert,
da sie oft zu privat, dummdreist oder läppisch sind.
3. Reflexion oder Feed back aus derDistanz:
Im visuellen Bereich: zusammenfassende Fotos und Zeichnungen,
um die Distanz und einen Überblick zu ermöglichen; im verbalen
Bereich: individuelle Deutungen und auch wieder Assoziationen,
im Hinblick auf mögliche Ursachen und Motivationen, Sammlung von
Zitaten, die dem Thema entsprechen.
4. Analyse und Herstellung eines Gesamtbezugs:
Details und Zwischenergebnisse werden in Gruppen zusammengestellt,
konfrontiert, verglichen mit verschiedenen Bezugssystemen, Bewertungsräumen
(mit Texten aus dem Bereich der Philosophie, Psychologie, Soziologie
u.s.w.). Die Zeit spielt eine besondere Rolle, insbesondere auch
bei der notwendigen Gewinnung von Distanz, und so erstreckt sich
die Entstehung und Modifikation vieler Ensembles über mehrere
Jahre, ist theoretisch nie abgeschlossen. Ein zusammenfassendes
Foto eines Ensembleaufbaus ist als sogenanntes Bezugsfoto zusammen
mit dem realen Objekt Ausgang für weitere Bemühungen. -- Abbildung 2 --
Bei all dem wird, von einem Punkt, dem realen Objekt ausgehend,
vom Einfachen zum Komplizierten, vom Privaten zum Allgemeinen,
vom Konkreten zum Abstrakten mit der Zeit der Radius des Interessen-
und Problemkreises immer weiter gefaßt.
Kunst ist bei mir primär nicht vermarktbarer Wandschmuck, sondern
so etwas wie Mittel zum Zweck von Lebensbewältigung -- einfacher
gesagt: um Probleme in den Griff (Begriff) zu bekommen, Konflikte
zu bewältigen. In diesem Kontext spielen, wie es wohl schon deutlich
wurde, auch traditionelle, also schon bekannte Entäußerungs-,
Kompensations- oder Entspannungsrituale eine Rolle, die eigentlich
jeder, zumindest ein bildender Künstler, wohl gut kennt.
Allerdings belasse ich es nicht dabei, sondern ich untersuche
und erforsche mich selbst und meine Umgebung anhand des gesammelten,
erlebten oder vorgefundenen Materials in einem abgesteckten Rahmen
mit einer bestimmten Methode, und die Entstehungsgeschichte, mögliche
Resultate oder Definitionen sind in den aufgebauten Ensembles
einsehbar, nachvollziehbar, nachprüfbar.
Mein Vorgehen unterscheidet sich dennoch von dem eines Wissenschaftlers
ganz wesentlich dadurch, daß ich mich selbst nicht etwa heraushalte
(meine persönlichen Belange, Empfindlichkeiten u.s.w.); im Gegenteil:
am Anfang zumindest steht das Bemühen, selbst zu sehen, zu fühlen,
zu verstehen, wobei ich davon ausgehe -- und das ist der erste
Anlaß einer Untersuchung --, daß man in vielem, ohne es zu ahnen,
fremdbestimmt ist und daß in der spontanen Phase häufig sehr viel
zum Vorschein kommt, was allgemein, alltäglich, stereotyp, standardisiert,
gewöhnlich ist und nicht gerade dazu angetan ist, das narzißtische
Größenselbst zu nähren.
Die Methode hat sich entwickelt aus den Fragen warum, weshalb,
wie bin ich, sind die anderen, die Umstände so, angesichts eines
bekannten Dilemmas. Dieses Dilemma ist die Schwierigkeit des einzelnen,
sich angesichts der heutzutage bestehenden Informations- und Reizüberflutung
zu entscheiden -- sei es nun im Hinblick auf ein spezielles Problem
oder auch im Hinblick auf die Konstituierung einer allgemeinen
Lebenseinstellung (die beim Künstler ja wohl in seinem "persönlichen
Stil" zum Ausdruck kommen soll).
Denn [zum einen hat man] [man hat] gelernt, gegenüber spontanen, subjektiven, intuitiven Reaktionsweisen,
die auf einem individuellen Erfahrungs- oder Veranlagungshintergrund
basieren sollen, mißtrauisch zu werden, seitdem man weiß, daß
man ständig gewissen Manipulations-und Werbemechanismen ausgeliefert
ist, und seitdem die Psychologie und auch die Soziologie individuelle
Entäußerungen nicht unbedingt in dem Bereich Genie, sondern eher
im Bereich der Begriffe "Macke", "verrückt", "zwangsneurotisch",
"egozentrisch" ansiedeln. (Hierzu ergänzend möchte ich sagen, daß dieses Mißtrauen [hat] bei mir persönlich zwar die Reflexions-und Verbalisierungs-,
Vemmittlungsbemühungen provoziert hat, die ich für spannend und wichtig halte, auch bei anderen Künstlern.
Grundsätzlich aber bin ich schon auf der Seite der Außenseiter,
Danebentypen: nur nicht als Genieendziel von Kunstmarktstrategen
auf einen hohen Sockel gehievt.) [***]
Andererseits büßt die Wissenschaft oder das Gutachten des Spezialisten
als Entscheidungshilfe zunehmend an Vertrauen ein. Erstens verfolgen sich die Spezialisten eines Fachbereiches häufig gegenseitig
mit Häme und Polemik. Zweitens -- da die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung immer spezialisierter,
komplexer und vielfältiger wurden -- sind sie offenbar bei der
Formulierung und Lösung eines Problems nicht in der Lage, Ergebnisse
anderer Fachbereiche zu berücksichtigen und zu integrieren. Drittens erreicht uns, den Durchschnittsbürger, das Spezialwissen in den
Medien zunehmend polarisiert, d. h. reduziert, simplifiziert,
aussortiert und polemisch aufbereitet, also gefiltert nach politischen,
ökonomischen Aspekten mächtiger Interessengruppen. Viertens hat beinahe jeder große Konzern sein eigenes Forschungsteam (hier
wirkt die objektive Wissenschaft manchmal käuflich), was dann
dazu führt, daß, wenn auf die Gefährlichkeit eines Produktes,
Medikaments oder "Energiegewinnungsmonsters" heute in der Zeitung
von Wissenschaftlern hingewiesen wird, dies eine Woche später
von anderen Kapazitäten als Unfug oder Bangemacherei hingestellt
werden kann. Wem soll man glauben? Fünftens sind zeitraubende Sprachbarrieren zu überwinden, falls man versuchen
sollte, sich das eine oder andere Forschungsergebnis selbst prüfend
vorzunehmen.
Das Ergebnis dieses wohl jeden betreffenden Dilemmas ist Hilflosigkeit,
die aber verdrängt und kaschiert wird, nicht zuletzt aus Gründen
einer bestimmten Konkurrenz- und Karrieresituation, mit einem
Großmannsgetue, das keine Selbstzweifel, Selbstkritik, kein Eingestehen
von Unvermögen zuläßt, sei es nun im Hinblick auf die Verwirklichung
eines persönlichen Selbst, oder sei es im Hinblick auf die Formulierung
und Propagierung von Ideen oder Problemlösungsangeboten, die sozial-ambitioniert
und möglichst der ganzen Menschheit dienen sollen. Hinzu kommt,
daß man, um groß und stark zu bleiben, sich zweckmäßig abkapselt
in Gruppen von Gleichgesinnten, nichts an sich heranläßt, sich
selbst ständig lobt und andere und anderes madig macht. Denn sich
in ein anderes Fach zu begeben, sich den Einwänden einer anderen
Sehweise auszusetzen, heißt natürlich Eingestehen von Schwäche,
denn hier weiß man einmal nicht Bescheid. Hier ist man unwissend, unbeholfen, verletzbar, weiß
sich nicht gut auszudrücken, zu verteidigen. Da schart man als
Professor doch lieber sein Grüppchen um sich, macht es sich möglichst
hörig in werbepsychologisch gängiger Manier, mit ins Unterbewußtsein
oder unter die Gürtellinie abzielenden Manipulationsstrategien
(oft unbewußt). Es soll ja auch sogar Professoren geben, die ihre
Studenten prügeln oder mit ihnen schlafen (wobei letzteres vielleicht
vorzuziehen wäre). Man ist von egozentrischen Größenideen besessen
und benötigt zur Verleugnung faktischer Schwäche und Zerbrechlichkeit
ständig die Ausbeutung seiner Umgebung, in der narzißtische Selbstvergötterung
oder die Stabilisierung des Omnipotenzleitbildes selbstverständlich
wurde durch politisch zementierte Strukturen von Herrschaftsbeziehungen,
wo die Aufspaltung in Macht und Ohnmacht stark und schwach, klug
-- dumm, oben -- unten -- Verhältnisse zum Fundament unserer Lebensordnung
wurde. (Zitat: H. E. Richter)
II
Da auch meine Arbeiten den meisten Menschen sehr kompliziert zu sein scheinen,
füge ich den Ensembleaufbauten seit längerer Zeit kurze Texte
bei, in einer dem Rezipienten eher geläufigen Sprache, um Eselsbrücken
zu bauen. Für diesen Beitrag habe ich zum ersten Mal versucht,
eine Bildgeschichte (in linearer Abfolge) herzustellen. -- In
dieser Serie geht es um folgendes:
1. Um die Notwendigkeit und die Voraussetzungen für die Entstehung
und Externalisierung, Artikulation individueller innerer Bilder
(Lebenseinstellung, Kunstauffassung, Theorie o.ä., auch bei Künstlern),
2. Um die Notwendigkeit einer Vermittlung dieser Bilder, Theorien
u.s.w. in reduzierter, simplifizierter Form.
Da mein Beitrag selbst ein Beispiel für Simplifikation ist, wird
die Reaktion des Auditoriums für mich ein Teil meiner Erfahrung
im Hinblick auf Effektivität sein.
Die letzte Abbildung (Bild 9) wird andeuten, daß ich auch selbst Vorbehalte habe und
neue Konflikte nicht nur für möglich halte, sondern sogar erwarte.
Und nicht zuletzt deshalb lautet der Titel dieses Comics "Dilemma
der Vermittlung".
Bild 1:
Das erste Bild ist eine Polemik auf die Kampfsituation zwischen
Praktiker und Theoretiker (man kann wahrscheinlich nur die Schimpfwörter
darauf erkennen).
Es handelt sich hier um zwei Kontrahenten, nehmen wir an um einen
Maler und einen Wissenschaftler, die ich, natürlich etwas übertrieben,
wie folgt charakterisieren möchte: Beide haben sowohl positiv
als auch negativ zu bewertende Eigenschaften, beide gehen sich
nach Möglichkeit aus dem Wege, aber wenn sie aufeinandertreffen,
dann knallt's.
Positiv beim Klischee-Malertypus könnte sein, daß er sinnlich
wahrzunehmen vermag, emotional, subjektiv-intuitiv mit eigenem
Erfahrungs- oder Erlebnishintergrund. Negativ könnte sein, daß
er suggestibel und daher sehr manipulierbar ist, da er gewisse
notwendige Talente des Abwägens und Vergleichens spontan emotionaler
Eindrücke mit früheren Erfahrungen hat verkümmern lassen. Schlimmer
ist es wohl, wenn er Gefühl als Attitüde trägt und zur Verdrängung
von Ratio zu Rauschmitteln greifen muß. "Seine verbalisierenden
Abstraktionsleistungen an sinnlicher Praxis sind minimal" (Haug).
Dem Intellektuellen gegenüber hat er insgeheim Minderwertigkeitskomplexe,
da er vermutet, daß dieser in vielem doch besser informiert sein
könnte als er. Er ärgert sich, mit einigem Recht vielleicht, daß
letzten Endes diejenigen, die gut argumentieren können, das Sagen
haben -- und er fühlt sich ausgeliefert und gefährdet im Hinblick
auf Wahrung seiner eigenen Interessen, da Bürokratie und Wissenschaft
in hohem Ansehen stehen, und er sich nicht wehren kann. Sein Argumentations-
und Kampfstil setzt auf Irritations- und Bürgerschreckeffekte,
häufig, um vom Thema abweichen zu können, mit gutem Humor und
starkem, brutalem Witz -- aber auch mit Beleidigungen und auch
gern mit Androhung von Gewaltanwendung.
Der Theoretiker oder Wissenschaftler ist kühl abwägend, systematisch,
logisch, objektiv -- und er kann ganz sicher so manchen Sachverhalt
differenziert darstellen. Dabei ist er zuweilen so gründlich oder
auch vorsichtig, daß er sich mit darauf aufbauenden Konsequenzen,
Lösungen von Problemen, schwer tut. Da er sich, um objektiv zu
sein, möglichst selbst aus allem heraushält (er mißtraut seinen
Gefühlen, sie könnten ihn täuschen), droht ihm häufig emotionale
Verkümmerung. Mag sein, daß er bei den anderen etwas spürt, vermutet,
neidet, was ihm längst abhanden gekommen ist. Er kaschiert seine
Minderwertigkeitsgefühle durch brillante, aber auch etwas geheimnisvoll
bleibende Argumentationstechnik in einem für Außenstehende schwer
verständlichen Fachjargon. Er fürchtet die unberechenbaren, irrationalen
Gefühlsausbrüche und Ausweichmanöver des anderen, seine Witz-
und Vulgärspracheffekte.
Beide Typen tun so, als seien sie dem anderen haushoch überlegen,
obwohl jeder von dem anderen etwas lernen könnte. Und solange
diese Typen allzu zahlreich vertreten sind, wird es nicht klappen
mit der Gesamthochschule.
Ergo: Spezialisten aller Fachbereiche, Wissenschaftler untereinander,
Theoretiker, Praktiker müssen neue Modi der Vermittlung und Verständigung
finden, sich zeitweise vom Sockel der Arroganz herabbemühen.
Der Theoretiker, der Praxis -- und sei es die des Kunstmachens
-- kennenlernen will, wird sich wohl anfangs etwas blöd dabei
benehmen, und der Künstler, der erklärende Worte für seine Produkte
zu finden sucht, wird sich wohl anfangs ebenso blöd dabei benehmen,
man sollte es beiden nicht mit Hohn (oder gar Empörung) heimzahlen.
(Mal sehen, was mir nachher passiert.) Interdisziplinär vorzugehen,
das bedeutet zwar Dilettantismus auf dem einen oder anderen Gebiet,
aber es muß in Kauf genommen werden. (Alles andere funktioniert
eh nicht mehr.)
Bild 2:
Nun gibt es in beiden eben geschilderten Typen durchaus Gemeinsamkeiten,
denn was will der Mensch?
Er will angenehm leben, er will angenehme Gefühle des Wohlbefindens,
der Freude und der Lust. Dafür hat er Gefühle, Sinnesorgane, Libido -- und er erlebt um so intensiver,
je mehr er seine Person unter Berücksichtigung individueller Dispositionen,
Macken und Empfindlichkeiten einbringen kann. Aber -- er muß auch,
um überleben zu können, also um Schmerz und Gefahr zu vermeiden,
seinen Verstand, seine Ratio zum Einsatz bringen, nämlich Erfahrungen
sammeln, speichern, abwägen können -- Sicherheits- und Konfliktvermeidungskonstrukte
erfinden.
Ich möchte jetzt dieses Schema erklären, in dem die Grundmuster
enthalten sind, die in den nächsten Bildern immer wieder auftauchen
werden. Unten sieht man das Schema eines Menschen: Kopf, Schulter,
Knie, sitzend vor einem Podest -- aus der Vogelperspektive gesehen.
Auf dem Podest eine Decke, ein Teller, darauf so etwas wie eine
Frucht, an den Teller gelehnt ein Rahmen. Diese Objekte gibt es
auch real in meinen Ensembles, und sie haben in meinem individuellen
Bezugssystem bestimmte Bedeutungen.
Das Objekt kann ein lustspendendes Objekt (Frucht oder Mensch), ein zu beurteilendes
Objekt (Mensch oder Zustand) oder auch ein zu lösendes Problem
und ähnliches sein.
Das Subjekt (der Mensch) strebt hin zu dem Objekt mit dem Ziel der Vereinnahmung,
Verschmelzung oder auch mit dem Ziel der Erkenntnis- oder Urteilsfindung
oder Lösung eines Problems.
Das Podest bedeutet bei mir einmal ganz einfach Auswahl, Ausgrenzung, Hervorhebung
des Objekts (auf der Podestoberfläche). Darunter aber soll sich
das Gerüst der Erfahrung (eine Mischung aus eigener und übernommener
Orientierungshilfe) befinden. Es ist die Theorie oder Lebenseinstellung.
Ein Konfliktvermeidungskonstrukt aus Rezepten, Konzepten, verinnerlichten
Verhaltensnormen, Gesetzen usw. Dieses komplizierte Strukturgebilde
der Anpassungs- und Gefahrenvermeidungsstrategien soll aber möglichst
nicht immer bewußt sein, das wirkt aktivitäts- (gefühls)blockierend,
deshalb befindet sich darüber ein Tuch, so daß eigentlich nur
noch der Faltenwurf mit Licht und Schatten schwach andeutet, was
darunter sich alles befindet. Der Faltenwurf deutet aber an das
Auf und Ab der Gefühle, Licht und Schatten, so aber noch verhältnismäßig
überschaubar.
Der Teller steht stellvertretend für einen nützlichen Zivilisationsgegenstand
(es könnte auch ein Bett sein), um das Objekt, zumal wenn es eher
amorph oder flüssig ist, festzuhalten, einzugrenzen (einzuordnen).
Es könnte aber auch so etwas sein wie ein Mund, die Kopfumrißlinie,
wenn sie umgreifend gezeichnet ist (meint Verschlingen).
Der Rahmen schließlich ist eine Wahrnehmungsschablone oder ein Raster aus
dem Wahrnehmungs- bzw. Konfliktvermeidungskonstrukt -- vielleicht
kann man sagen: das Vorurteil. Jedenfalls grenzt die Schablone
die Wahrnehmung ein -- auch im positiven Sinn --, denn sie ermöglicht
auch die Konzentration auf ein Detail des Objekts, was wiederum
intensitätssteigernd wirken kann.
Bild 3:
Hier entsteht das Konfliktvermeidungsgerüst. -- Wir sehen hier
wieder den Menschen vor dem Podest sitzen, über ihm eine Gefühlslinie
und darüber eine gewaltige Kopfumrißlinie. Er drängt mit naiv
unbekümmertem Egoismus nach Bedürfnisbefriedigung und Lustgewinn.
Natürlich führt dies zu leidvollen Erfahrungen und Konflikten,
denn er stößt an die Grenzen der Bedürfnisse anderer, an Verhaltensnormen,
Gesetze u.s.w., und er muß wohl oder übel Erfahrungen speichern,
es entstehen Bilder im Kopf, Kürzel des Erlebten, sowohl positive
als auch negative. Und allmählich entsteht dieses immer dichter
werdende Gerüst der Absicherung aus Vorsicht und Angst, eine Mischung
aus eigenen und übernommenen oder oktroyierten Handlungsrezepten,
so daß die Gefühlskurve schließlich reichlich abflacht und die
Decke mit fantasieanregendem (schlimmstenfalls wildem) Faltenwurf
allmählich zum Spannlaken werden kann. "Abstraktionsleistungen
an den sinnlichen Praxen sind notwendig", hat Haug heute morgen
gesagt.
Bild 4:
Und es kann passieren, daß das Gerüst, das ursprünglich zur Sicherheit
gedacht war, zur Gefahr wird -- besonders dann, wenn nur sehr
wenig eigene Erfahrung, aber sehr viel Übernommenes die Konfliktvermeidungsstruktur
prägt. Dieses Bild ist eine Entgegnung auf die (zumal seit der
Studentenbewegung übliche) Diffamierung des Selbstverwirklichungsanspruchs,
als egozentrisch, privatistisch, monoman u. ä.
Hier sitzt der Mensch (Maler oder Wissenschaftler) schon in einem
Käfig. Er hat sich prima abgekapselt, hat wohl auch seine Beschäftigung
(reichlich Konserven, Fernseher usw.), aber er nimmt seine Umgebung,
wenn überhaupt, nur sehr undeutlich wahr, sei es, weil er seine
Reflexionsfähigkeit (Künstler), sei es, daß er Fähigkeiten eigener
sinnlicher Wahrnehmung hat verkümmern lassen (Theoretiker und
Künstler). -- Ich beziehe mich in folgendem auf letzteres --.
Allmählich fängt er an, Ekel, Überdruß und Langeweile zu empfinden.
Eines Tages plötzlich taucht vor seinem Käfig ein Objekt auf,
das in ihm eine vage Erinnerung weckt an etwas irgendwie Wunderbares,
und aufgeregt späht er durch sein Gestänge, und weil er das Objekt
festhalten möchte, macht er sich ein Bild davon, bevor es wieder
verschwindet. Auf diesem Bild ist das Objekt jedoch kaum zu erkennen,
es ist völlig zerstückelt und zerrissen von Strukturen, Linien,
Mustern des Gestänges in seinem Käfig, das ihn in seiner Wahrnehmung,
am Sehen hinderte. Aber er läßt nicht locker, er sucht und kramt
in seinem Gehäuse, und schließlich findet er in einer Ecke --
unter Notizen, Büchern, Zeichnungen -- seine Lustschablone, die
er vielleicht seit seiner Kindheit nicht mehr in der Hand hatte
-- und dies wühlt ihn derartig auf, daß er beschließt, den Käfig
zu verlassen und das Objekt zu suchen. Damit er aber sein Gehäuse
wiederfindet, macht er sich ein Modell, das er auf dem Rücken
tragen kann, auch ein Foto, um den Standort wiederzufinden. Dann
macht er sich auf den Weg -- mit Konfliktvermeidungskonstruktmodell,
Foto desselben, Rasterbild von dem Objekt und Lustschablone.
Nun kann allerdings folgendes passieren: Angenommen, es kommt
in diesem Moment ein Kunsthändler vorbei, der ihn dazu veranlaßt,
hinfort Modelle oder Rasterbilder herzustellen, so wird seine
Entwicklung in diesem Moment wieder stagnieren. Und wenn man sich
vorstellt, daß dies Produkt die Doktorarbeit eines Wissenschaftlers
ist, wird er in Versuchung geraten, einen lukrativen Job anzunehmen,
der ihn hinfort so beschäftigt, daß er die Suche einstellt.
Bild 5:
Eigenes Gefühl, Selbstkritik, Korrektur
"Die Befreiung von finster anschaulichen Aktivitäten" (Marcello).
-- Nehmen wir den positiven Fall an. Er wandert los, sucht weiter,
verläßt eingefahrene Wege und stellt sein Gerüst mitten in die
Landschaft. Darauf eine Decke, der Teller (oder eine Falle), davor
die Lustschablone, links das Foto eines Käfigs (des Konfliktvermeidungskonstruktes),
rechts vorne sein Rasterbild, damit er das Objekt wiedererkennen
kann. Übrigens darf man nicht annehmen, daß er viel von der Umgebung
wahrnimmt, er ist total fixiert auf sein Ziel. Und tatsächlich,
eines Tages kommt so ein Ding angeflogen, nehmen wir mal an, es
ist ein Lindenblütenblatt. Er nimmt seine Lustschablone (sinnlicher
Wahrnehmung), wagt es, ganz dicht heranzugehen -- und ist überwältigt.
Mit Haugs Worten ausgedrückt: "aus bedrängenden komplexen Wirkungszusammenhängen
sich befreien in Handlungen über den sinnlichen Sinn des Lebens".
Um diese Empfindung festzuhalten, macht er sich wieder ein Bild
davon. Dann lehnt er sich zurück (wagt es), und er stellt fest
-- aus der Distanz -, daß das Bild zwar schön ist, aber es niemals
an das reale Objekt heranreicht, obwohl es doch schon viel genauer
als sein Strukturbild ist.
Erfahrungen:
1. Er hatte ein eigenes Gefühl sinnlicher Wahrnehmung und Vereinnahmung
("die Träne quillt, die Erde hat mich wieder ...").
2. In dem Moment, wo er davon ein Bild macht, kann er Distanz
dazu herstellen, Fehler im alten Wahrnehmungsraster erkennen und
korrigieren.
3. Die Distanz ermöglicht ihm außerdem, die einzelnen Teile des
Arrangements im Verhältnis zueinander und mit entsprechend anderen
Gewichtigkeiten zu erkennen; und er macht sich ein neues Theorieschema,
in dem nicht nur der Käfig, sondern diesmal er selbst zusammen
mit der neuen erweiterten Konstellation erscheint.
Nun kann es wieder passieren, daß ein Händler vorbeikommt, und
wenn er der Versuchung erliegt und etwa, wie dieser verlangt,
hinfort nur noch Bilder macht, ohne seine Schablone zu modifizieren,
dann dürfte er abermals in seiner Entwicklung stagnieren.
Bild 6:
Analyse, Einbeziehen des Wissens anderer
Allerdings er macht auch negative Erfahrungen. Er läßt ab von
seiner Dosennahrung und wagt es, eigene Rezepte auszuprobieren,
was zu Magenverstimmungen führen kann. Das heißt, er lernt zu
analysieren (Analyse des Auskotzens bei Anzeichen von Vergiftung).
Und er besorgt sich zweckmäßig ein Pflanzenkundebuch, wo giftige
und genießbare Lebensmittel aufgeführt sind. Das heißt, er wagt
es und lernt auf einem inzwischen entstandenen eigenen Erfahrungshintergrund
(frisches Gemüse schmeckt besser als Konserven) das Wissen anderer
einzubeziehen. Im übertragenen Sinne entspräche u. a. dies zum
Beispiel der Forderung von H. G. Helms an Künstler: "Kenntnis
von -, Bewußtsein für -, Analyse von - historisch gewachsenen
ökonomischen Verclinchungen und Konflikten innerhalb des herrschenden
Systems."
Bild 7:
Kommunikation
Nun geht es ihm schon ganz gut. Er gewinnt zunehmend Interesse
an seiner Umgebung. Er nimmt Mensch-Umrißlinien und Stimmen an
seinem Fenster wahr, und eines Tages befindet sich vor ihm ein
Objekt Mensch. Er holt aufgeregt seine Lustschablone hervor, macht
sich ein Bild, und, siehe da!, an einigen Stellen stimmen beide
überein. Allerdings hat dieses Objekt eine eigene Lustschablone,
und man macht Erfahrungen, tauscht Erfahrung aus -- was natürlich
für ihn ein Anlaß ist, die eigene Schablone erneut zu modifizieren,
denn er weiß inzwischen, daß in seiner Schablone noch jede Menge
Lücken und Fehler enthalten sein müssen. Ich fasse noch einmal
zusammen, was er inzwischen gelernt haben müßte:
1. Er hat so etwas wie eine eigene Entscheidungsfähigkeit von
Gut und Böse aufgrund eigener Erlebnisse sinnlicher Wahrnehmung.
2. Er hat es gelernt, sich Bilder zu machen, alte übernommene
Begriffsschablonen in Frage zu stellen.
3. Er ist in der Lage, Selbstkritik zu üben, Korrekturen vorzunehmen.
4. das Wissen anderer einzubeziehen.
5. Er merkte, daß es zweckmäßig ist, eigene Erfahrungen im Kontext
zu außerpersönlichen Gegebenheiten (und umgekehrt) zu analysieren.
6. Er hat aber auch festgestellt, daß seine Lebenseinstellung,
das Theorieschema, seine darauf aufbauenden Aktivitäten und Äußerungen,
für andere ziemlich befremdend sind. Dieses Lustobjekt Mensch
hat ihn wieder verlassen und noch zum Abschied gesagt: "Also im
Bett war man ja prima, aber diese ganzen Zettel, Fotos, und Notizen,
was soll das, verstehe ich nicht, es geht mir auf den Geist."
Bild 8:
Allerdings kann es schlimmer kommen. Wie reagiert man angesichts
einer drohenden Gefahr? -- Eines Tages erscheint ein schrilles,
häßliches, stinkendes Monster, bis an die Zähne bewaffnet, mit
einem Verhaftungsbefehl, und man steht vor der Alternative: entweder
flüchten oder sich und sein System verteidigen. Man bezwingt seine
Panik und geht vor, wie man es bisher gelernt hat. Man macht sich
erstens Bilder und Notizen, sammelt Informationen über das Objekt,
und es ergeben sich Reaktionen, subjektiver, affektiver Art --
zum Teil berechtigt, aber einige Aversionen erweisen sich als
Vorurteil -- z. B.auf Grund der Tatsache, daß das Monster an einen
schrecklichen Mathematiklehrer erinnert. Zweitens stellt man sogar
fest, daß es durchaus Gemeinsamkeiten gibt, z. B. hat das Ekel
tiefempfundene Naturerlebnisse in seinem Schrebergarten und bei
Zelttouren mit Kameraden. Es ißt auch gern Nudeln und Erdbeeren
mit Schlagsahne, interessiert sich für Sex. Drittens hat es ein
Konfliktvermeidungssystem mit sehr viel übernommenen verinnerlichten,
verdrängten, behindernden Verhaltensschablonen, wie man es selbst
früher einmal hatte. Viertens erwecken eingeholte Informationen
aus seinem Lebensumraum und aus der Psychologie wie Soziologie
ein gewisses Interesse und Verständnis, denn man sieht, warum
dieser Kerl so geworden ist. Trotz allem, man muß sich verteidigen,
denn es geht um Leben oderTod, man muß einen Weg finden, um sein
System zu erklären.
Dies wird folgendermaßen versucht; angenommen der Fall, es gelingt,
die Auseinandersetzung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben;
so werden vor diesem erneuten Zusammentreffen bestimmte Vorkehrungen
und Veränderungen im Arrangement des Lebensumraums getroffen.
Bild 9:
Es wird eine Manipulations- bzw. Verführungsstrategie entwickelt,
um dem anderen das ihm befremdliche Lebens(Arbeits-)konzept näherzubringen,
vermittels:
- Anpassung,
- Reduktion,
- Simplifikation,
- Polemik,
- Dekoration,
- Animation.
Das heißt, um eine Annäherungsmöglichkeit, eine Verständigungsbasis
zu schaffen, baut man eine Brücke unter Berücksichtigung der vorliegenden
Recherchen über die Person, und man trifft eine Auswahl im eigenen
Wahrnehmungsmodell auf der Basis vorgefundener Ähnlichkeiten und
gemeinsamer Vorlieben, die bei aller Unterschiedlichkeit immerhin
doch festgestellt werden.
Es wird das Angebot insgesamt reduziert und vereinfacht, das heißt,
nur sehr einfache und standardisierte Wahrnehmungsschablonen (zum
Teil solche aus vergangenen Zeiten) werden präsentiert, so daß
das Ordnungssystem überschaubar wird, Gesetzmäßigkeiten erkennbar
werden. Zwar wird das ganze dadurch undifferenzierter, plakativer,
polemischer und auch unwahrer, obgleich die Unrichtigkeit am Detail
nicht unbedingt festzumachen ist (eher insgesamt durch das Nichtvorhandensein
von Komplexität, Kompliziertheit, was nur dem Kompromißler als
Mangel bewußt bleibt.)
Allerdings dürfte es nicht unwichtig sein, einen gefällig dekorierten
Präsentationsumraum zu schaffen, mit Pflanzen, warmen Farben,
Lichteffekten, einschmeichelnder Musik. Außerdem sollte das Verhalten
des Animators, die angenehme Atmosphäre ergänzend, ausgerichtet
sein auf gängige Verführung. -- An diesem Punkt müßte man wohl
unterscheiden zwischen männlichen und weiblichen Animationsstrategien.
Gemeinsam ist ihnen die Tatsache, daß sie sich im Zugzwang befinden,
ihre Qualitäten, ihre "Effizienz" ganz groß herausbringen. Der
Mann macht dies zweckmäßigerweise so, daß er Selbstsicherheit
und Überlegenheit in Sprachduktus, Mimik, Motorik, Betonung signalisiert,
je nach Veranlagung des Kontrahenten, väterlich-warm, kumpelhaft-witzelnd,
schwulig-ergeben oder autoritär-bissig. Als Frau, zumal bei männlichen
Kontrahenten bietet sich an eine entsprechend dosierte Mischung
von Standards für Sex, Auslöser für Brutpflegeverhalten, Beschützerinstinkten!
Man sollte sich etwas hilflos, unterwürfig, kindlich-naiv oder
mütterlich-warmherzig geben, bewundernd das Selbstwertgefühl des
anderen stärken u.s.w. (Man nennt es "Charme haben".)
Die menschliche Schemafigur des letzten Bildes scheint mir eher
weiblich zu sein. Die bösen Sprüche auf dem Rücken sind durchaus
zweideutig zu verstehen. Positiv wäre es doch, wenn das Opfer,
über den Buckel rutschend, unweigerlich über das Muster derTischdecke,
das für sich selbst spricht, auf das Gedeck zu, in die Falle geriete.
Selbstverständlich gibt es etwas ihm Wohlschmeckendes zu essen
und zu trinken. Möglichst mit erster Einübung im Ertragen von
leicht Ungewohntem durch ein fremdes Gewürz, das sehr gut eine
angenehme Neugier zu erwecken vermag auf die geheimnisvolle Aura
von Exotik = anders sein. Es mag sogar angebracht sein, das Würzen
dem Besucher selbst zu überlassen, als erste Anleitung zur Mitarbeit,
zum Mitdenken. Denn neben dem Teller rechts steht zwar ein sehr
einfaches, in roten Farben gehaltenes Bild voll versteckter Sexsymbolik,
auf das er nach einigen Drinks voll abfährt. Aber auf dem Abbild
links des Tellers ist (auf dem zweiten Blick zumindest) sein eigener
einengender, behindernder Konfliktvermeidungs-(Gesinnungs)käfig
deutlich erkennbar.
Ich habe versucht, mir vorzustellen, was das Ergebnis dieser Bemühungen
sein könnte. Im günstigsten Fall ließe sich vorstellen, daß dieser
Mensch sich seines eigenen Käfiggerüstes bewußt wird und er selbständig
in seinem Kopf das Komplizierte, das in diesem Konzept angedeutet
ist, ergänzt. Er ändert seine Lebensführung, korrigiert seine
Theorie, wird tolerant in seinem Urteil über Egotripper, Danebentypen,
Exzentriker, erkennt womöglich die vertrackten gesellschaftlichen
Hinter-Gründe und Ursachen dieser beschissenen Verkaufsstrategie.
-- Andere Verhaltensreaktionen wären z. B. der Banause, er fühlt
sich sauwohl, kommt fortan häufiger zu Besuch, bringt womöglich
seine Kumpel mit, und man ist nur noch dabei, Suppe zu kochen.
Man wird zum Freizeitgestalter, ohne selbst noch die Möglichkeit
zu haben, zu regenerieren. Dies entspräche auch einem lukrativen
Angebot als Puffmutter, als Animateur oder Kompensator für demolierte
Politiker oder Unternehmer -- oder als Sloganerfinder in der Werbebranche
oder Bildzeitung. -- Es wäre auch vorstellbar, daß dieser Mensch
das ganze Arrangement aufkauft und, angenommen, er ist Kunsthändler,
mich veranlaßt, hinfort nur noch solche gefälligen Objekte herzustellen.
-- Andere Möglichkeit: er klaut im Kopf die gängigsten Gebilde
und macht selbst seine Geschäfte damit. -- Oder: eine Interessengruppe
von Simplifizierern (Dogmatikern) knüpft an die vorhandenen Ähnlichkeiten
und spannt mich vor ihren Karren. -- Oder die häufig erfolgte
Reaktion: Der Kulturbanause genießt und sagt: "Das ist doch alles
so einfach, das ist keine Kunst, das kann doch jeder."
Dieses letzte Bild ist rückkoppelnd auch gleichzeitig die zusammenfassende
Darstellung meiner Vermittlungsbemühungen, wie ich sie in der
ganzen Bild-Text-Geschichte versucht habe (wenn auch nicht annähernd
so perfekt).
Wie ich anfangs schon erwähnte, werden die Reaktionen der Zuschauer
mich möglicherweise zwingen, meine Theorie zu modifizieren. Nun
ist die Situation während dieses Symposions allerdings komplizierter,
da sich das Auditorium aus unterschiedlichsten Charakteren zusammensetzt
und vorherige Untersuchungen nur in sehr beschränktem Umfang möglich
waren. Pauschal könnte man annehmen, daß hier sowohl System- bzw.
Kunsttheoretiker als auch Kunstschaffende, also Praktiker, reagieren
werden. Letztere könnte man wiederum unterteilen in solche, welche
Vermittlungsbemühungen primär kultivieren (im Bereich angewandter
Kunst, visueller Kommunikation, Gebrauchsgrafik, aber auch Schauspieler,
Musiker etc.), und in die sogenannten freischaffenden Künstler
(die "Elitären"). (Drittens gibt es sicher eine Gruppe, die aus
Gründen politischen und hochschulinternen Machtgerangels sowieso
nur nach Fehlern sucht.) Entsprechend werden die von mir erwarteten
Reaktionen sein: Die Wissenschaftler und Theoretiker werden meinen
Beitrag als naiv, geschwätzig, subjektivistisch abwerten, ein
Teil der Künstler, zumal die der angewandten Disziplinen, werden
meinen Beitrag nicht einfach genug, zu theoretisch, zu abgehoben
finden, der elitäre Rest ihn einfach als "ganz unmöglich" bezeichnen,
denn es sei unter der Würde eines Künstlers, sich plump erläuternd,
herabbeugend dem Publikum zu nähern. Dies würde der eigentlichen
Aussage (die das Geheimnisvolle geradezu benötige) mehr schaden
als nützen, da sie durch Vereinfachung im hohen Grade verfälscht
und den Rezipienten in seinem Kästchendenken, seiner Trägheit,
nur bestärken würde.
Feed-back im Anschluß an das Symposion
Die Reaktionen sind spärlich, deshalb nicht repräsentativ. Aber
sie erfüllen meine Erwartungen. Zwei Studenten meinen, das Ganze
seien Selbstverständlichkeiten, ergo nichts Neues. Ein Dozent
behauptet, er kenne die Figur der Bildgeschichte schon aus Kinderbüchern
(?). Ein von mir geschätzter Wissenschaftler irritiert mich, denn
er ist tief gekränkt, fühlt sich "verkackeiert", da ich einige
Fommulierungen seines Beitrages meinen gegenüberstellte, was lediglich
als Vermittlungsbemühung gedacht war.
Fazit
Die Comic-Serie ist an sich noch nicht zu Ende. Außerdem komplizieren
und kompromittieren die Rückkoppelungen, Einschränkungen und selbstkritischen
Äußerungen die im Bild 9 angelegte Verführungssituation, die ich selbst in dieser
Konsequenz -- zugegeben -- noch niemals praktiziert habe (aber
andere, Erfolgreiche).
Das anfangs versprochene 'Ich versuch es einmal ganz einfach zu
sagen' meinte nicht nur den Sprachstil, sondern vor allem die
Darstellung an sich komplizierterer, psychologischer, philosophischer
Inhalte. Verhaltensweise insgesamt: Ungefähr wie unter Animationsstrategie
'weiblich' charakterisiert.
Schluß
Zu erwartende Reaktion auf die Publikation: Sie wird erstens ohnehin
kaum gelesen, zweitens wird dieser Simplifizierungsversuch sich
im Kopf manches Rezipienten auf die Größe eines Stempels weiter
reduzieren, zur Wurfspießscheibe, ohne Verteidigungsmöglichkeit
und ohne animierende Ausgleichseffekte durch persönliche Anwesenheit
der Konstrukteurin. -- In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern
wäre dieser Beitrag vielleicht besser (stringenter) ausgefallen.
*[the also in 1984 published part of the text starts and ends
with [***]. The few small deviations in the readings are identifiable
through colors. Yellow stands for the version from 1979, red for the one from 1984]
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