Anna Oppermann: Dilemma der Vermittlung

Karl Hofer-Symposion 1979 - Grenzüberschreitungen, in: Schriftenreihe der Hochschule der Künste Berlin Vol. 2, Berlin 1980, pp. 35-61 (a part * has also been published in: Das, was ich mache, nenne ich Ensemble, in the catalog: Anna Oppermann Ensembles 1968-1984, Hamburg and Brussels 1984, pp. 28-29)

Aus den Grundsatzpapieren von Gesamthochschulplanern geht hervor ...


I

Über die Methode:


II

Bild 1:

Bild 2:

Bild 3:

Bild 4:

Bild 5:

Bild 6:

Bild 7:

Bild 8:

Bild 9:

Wie ich anfangs schon erwähnte ...

Feed-back im Anschluß an das Symposion

Fazit

Schluß




Aus den Grundsatzpapieren von Gesamthochschulplanern geht hervor, daß hier etwas beabsichtigt war, was man eigentlich nur begrüßen kann: Man wollte weniger Fachidioten! Statt dessen wollte man die bestmögliche, vielseitigste Entfaltung der Persönlichkeit, interdisziplinäres Denken und Handeln fördern und das Verständnis für Andersdenkende, Unterlegene, Überlegene wecken, und man wollte den Abbau des Macht- bzw. Ohnmachtgefühls. Bewirkt werden sollte dies durch z. B. Vermeidung des Umwegstudiums (beim Fachwechsel werden Zwischenprüfungen angerechnet), durch den Abbau der Hierarchien im Personalbereich und durch Beseitigung von bildungshemmenden, gesellschaftsschädigenden Schranken des Sozialprestiges, durch Einheitlichkeit der akademischen Grade (Fachhochschule, Universität), durch Chancengleichheit im Zugang zum Studium und durch Forschungsmöglichkeit für alle. Und man wollte "eine Verbindungs- und Annäherungsmöglichkeit schaffen zwischen Wissenschaft und Praxis", das heißt, man wollte die Wissenschaftlichkeit der eher anwendungsbezogenen Studiengänge und umgekehrt die praktische Orientierung der stärker theoriebezogenen Studiengänge gewährleisten. -- Leider scheint es nicht zu funktionieren, und dies war der Anlaß, das Symposion zu veranstalten. Die Frage lautet: Warum funktioniert es nicht? Weil, plump gesagt, die Menschen nicht danach sind (was ich später zu begründen versuchen werde).

Ich selbst habe, um ein Fachidiotendasein zu vermeiden, eine interdisziplinär angelegte Arbeitsmethode im künstlerischen Bereich entwickelt. Die Motivationen sind durchaus denen der Gesamthochschulplaner ähnlich -- angesichts eines allem zugrundeliegenden, alle betreffenden ?lnformations-Vermittlungs-Dilemmas", wo sowohl im nonverbalen Bereich, geknüpft an den tradierten Künstlertypus, als auch im Verhältnis zum Wissenschaftler als anerkanntem Berater irritierende Vertrauenseinbußen zu konstatieren sind.

Im ersten Teil meines Referates werde ich kurz meine Arbeitsmethode erklären, da ich meine, daß ein Bericht darüber im Kontext dieses Symposions nicht ganz uninteressant sein dürfte. Als Beispiel einer simplifizierenden Vermittlungsbemühung ist der zweite Teil meines Vortrages gedacht, für den ich eine Comic-Serie hergestellt habe, um es einmal "ganz einfach" zu sagen.



I

Es handelt sich hier nicht um Sauerkraut (dieses Wort fiel vorhin), und es ist auch nicht entstanden, wie ein Witzbold mal zu bemerken wußte, nämlich daß zuerst die Pleonasmen tautologisch paraphrasiert und dann die Definitionen dialektisch paralysiert werden o. ä. Allerdings ist dies das Ergebnis von "Grenzüberschreitungen", man könnte auch negativer sagen: ich sitze in vieler Hinsicht zwischen den Stühlen. Denn obwohl ich eine Fachausbildung in Malerei, Grafik und Kunstpädagogik an der HfbK in Hamburg absolviert habe, arbeite ich als freischaffende Künstlerin seit ca. 15 Jahren so, daß ich mich kaum einordnen lasse in die zur Verfügung stehenden Berufskategorien Maler, Fotograf, Bildhauer, Kommunikationswissenschaftler oder ähnliches, obwohl oder da ich mich in allen diesen Bereichen ausdrücke. -- Abbildung 1 --

[***] Das, was ich mache, nenne ich Ensemble. Auf den ersten Blick sieht diese fotografische Abbildung vielleicht wie ein abstraktes Gemälde aus, auf den zweiten Blick wird man erkennen, daß es sich um flache und nichtflache, farbige und nichtfarbige Gebilde handelt, die, zusammen arrangiert und den Raum einbeziehend, so etwas wie ein Environment bilden. "Ensemble" heißt im französischen "zusammen", und davon abgesehen, daß ich im oder über die Ensembles gerne mit anderen zusammenarbeite, sind hier Pflanzen, Podeste, Skizzen, Zeichnungen, Bilder, kleine Plastiken, Fotos, Fotoleinwände, Texte zusammen arrangiert. Man erkennt auch ein paar Details, die durch Vergrößerungen und Wiederholungen stark hervorgehoben sind, und umgekehrt Zusammenfassungen von Arrangements früherer Zustände auf Fotoleinwänden, wo Details, nur noch von mir entzifferbar, zu abstrakten Gebilden zusammenschrumpfen.

Was man auf
der Abbildung [ den Abbildungen] nicht erkennt, ist, daß [hier] nicht nur unterschiedliche Bildebenen, Realitätsebenen, Ausdrucksformen, Medien zusammen arrangiert sind, sondern auch Darstellungen -- visualisiert oder artikuliert -- verschiedener Bewußtseinszustände, Bewußtseinsebenen, Bezugssysteme (Bewertungsräume), Metaebenen. Weniger prätentiös, aber ungenauer, könnte man sagen: Es gibt nebeneinander Offenes -- Geschlossenes, Unfertiges -- Fertiges, Irrationales -- Rationales, Triviales -- Elitäres, Privates -- Allgemeines, Albernes, Brutales, Tradiertes -- Progressives, Geheimnisvolles -- Klares, Dummes -- Kluges, Kitschiges, Sinnliches, Idyllisches, Abstraktes und Theoretisches (Wissenschaftliches). Es gibt Kommentare von mir und anderen, Umgangssprache, Subsprache, gut Formuliertes. Es gibt sich Entsprechendes, sich Widersprechendes, sich Bedingendes, sich Ergänzendes, dem jeweiligen Ensemblethema zugeordnet, aber auch alles zusammenfassende Definitionen. Das heißt, um dem Betrachter das scheinbare Chaos zu lichten, gibt es auch Übersichts- und Themenpläne und Diagramme, sowie einfache, simplifizierende Texte zur Entstehungsgeschichte des Ensembles und zur Methode allgemein, die dem Ganzen zugrunde liegt.



Über die Methode:

Im Zentrum des Ensembles befindet sich ein reales Objekt -- am Anfang ein Fundstück aus der Natur, z. B. ein Laubblatt (später Menschen, Begebenheiten, Konflikte, Probleme). Ausgehend von diesem Objekt, entwickeln sich nachfolgende Zustands-, Bewußtseins- und Handlungsphasen.

1. Meditation:
Die Konzentration in der Meditationsphase wird unterstützt durch naturalistische Detailzeichnungen vom Objekt.

2. Katharsis:
Diese ist vergleichbar dem Automatismus der Surrealisten oder dem Brainstorming. Das meint hier ein möglichst spontanes, z. T. automatisches Reagieren und Assoziieren auf das Objekt, um unbewußte Äußerungen zu provozieren und sie soweit wie möglich in Form von Skizzen und Notizen zu fixieren. Dies ist eine Phase propulsiverAusdehnung, in der alles zugelassen ist, auch Darstellungen, die, gemessen mit künstlerischen oder allgemeineren Bewertungskriterien, normalerweise nicht gestattet sind. Der Einfallsreichtum soll dadurch begünstigt werden, daß zunächst keine Beurteilung bzw. Kritik der Äußerungen hinsichtlich ihrer Qualität und Tauglichkeit erfolgen darf. Ergebnisse dieser Phase werden in öffentlichen Ausstellungen nur auszugsweise oder schwer zugänglich präsentiert, da sie oft zu privat, dummdreist oder läppisch sind.

3. Reflexion oder Feed back aus derDistanz:
Im visuellen Bereich: zusammenfassende Fotos und Zeichnungen, um die Distanz und einen Überblick zu ermöglichen; im verbalen Bereich: individuelle Deutungen und auch wieder Assoziationen, im Hinblick auf mögliche Ursachen und Motivationen, Sammlung von Zitaten, die dem Thema entsprechen.

4. Analyse und Herstellung eines Gesamtbezugs:
Details und Zwischenergebnisse werden in Gruppen zusammengestellt, konfrontiert, verglichen mit verschiedenen Bezugssystemen, Bewertungsräumen (mit Texten aus dem Bereich der Philosophie, Psychologie, Soziologie u.s.w.). Die Zeit spielt eine besondere Rolle, insbesondere auch bei der notwendigen Gewinnung von Distanz, und so erstreckt sich die Entstehung und Modifikation vieler Ensembles über mehrere Jahre, ist theoretisch nie abgeschlossen. Ein zusammenfassendes Foto eines Ensembleaufbaus ist als sogenanntes Bezugsfoto zusammen mit dem realen Objekt Ausgang für weitere Bemühungen. -- Abbildung 2 --

Bei all dem wird, von einem Punkt, dem realen Objekt ausgehend, vom Einfachen zum Komplizierten, vom Privaten zum Allgemeinen, vom Konkreten zum Abstrakten mit der Zeit der Radius des Interessen- und Problemkreises immer weiter gefaßt.

Kunst ist bei mir primär nicht vermarktbarer Wandschmuck, sondern so etwas wie Mittel zum Zweck von Lebensbewältigung -- einfacher gesagt: um Probleme in den Griff (Begriff) zu bekommen, Konflikte zu bewältigen. In diesem Kontext spielen, wie es wohl schon deutlich wurde, auch traditionelle, also schon bekannte Entäußerungs-, Kompensations- oder Entspannungsrituale eine Rolle, die eigentlich jeder, zumindest ein bildender Künstler, wohl gut kennt.

Allerdings belasse ich es nicht dabei, sondern ich untersuche und erforsche mich selbst und meine Umgebung anhand des gesammelten, erlebten oder vorgefundenen Materials in einem abgesteckten Rahmen mit einer bestimmten Methode, und die Entstehungsgeschichte, mögliche Resultate oder Definitionen sind in den aufgebauten Ensembles einsehbar, nachvollziehbar, nachprüfbar.

Mein Vorgehen unterscheidet sich dennoch von dem eines Wissenschaftlers ganz wesentlich dadurch, daß ich mich selbst nicht etwa heraushalte (meine persönlichen Belange, Empfindlichkeiten u.s.w.); im Gegenteil: am Anfang zumindest steht das Bemühen, selbst zu sehen, zu fühlen, zu verstehen, wobei ich davon ausgehe -- und das ist der erste Anlaß einer Untersuchung --, daß man in vielem, ohne es zu ahnen, fremdbestimmt ist und daß in der spontanen Phase häufig sehr viel zum Vorschein kommt, was allgemein, alltäglich, stereotyp, standardisiert, gewöhnlich ist und nicht gerade dazu angetan ist, das narzißtische Größenselbst zu nähren.

Die Methode hat sich entwickelt aus den Fragen warum, weshalb, wie bin ich, sind die anderen, die Umstände so, angesichts eines bekannten Dilemmas. Dieses Dilemma ist die Schwierigkeit des einzelnen, sich angesichts der heutzutage bestehenden Informations- und Reizüberflutung zu entscheiden -- sei es nun im Hinblick auf ein spezielles Problem oder auch im Hinblick auf die Konstituierung einer allgemeinen Lebenseinstellung (die beim Künstler ja wohl in seinem "persönlichen Stil" zum Ausdruck kommen soll).

Denn [
zum einen hat man] [man hat] gelernt, gegenüber spontanen, subjektiven, intuitiven Reaktionsweisen, die auf einem individuellen Erfahrungs- oder Veranlagungshintergrund basieren sollen, mißtrauisch zu werden, seitdem man weiß, daß man ständig gewissen Manipulations-und Werbemechanismen ausgeliefert ist, und seitdem die Psychologie und auch die Soziologie individuelle Entäußerungen nicht unbedingt in dem Bereich Genie, sondern eher im Bereich der Begriffe "Macke", "verrückt", "zwangsneurotisch", "egozentrisch" ansiedeln. (Hierzu ergänzend möchte ich sagen, daß dieses Mißtrauen [hat] bei mir persönlich zwar die Reflexions-und Verbalisierungs-, Vemmittlungsbemühungen provoziert hat, die ich für spannend und wichtig halte, auch bei anderen Künstlern. Grundsätzlich aber bin ich schon auf der Seite der Außenseiter, Danebentypen: nur nicht als Genieendziel von Kunstmarktstrategen auf einen hohen Sockel gehievt.) [***]

Andererseits büßt die Wissenschaft oder das Gutachten des Spezialisten als Entscheidungshilfe zunehmend an Vertrauen ein. Erstens verfolgen sich die Spezialisten eines Fachbereiches häufig gegenseitig mit Häme und Polemik. Zweitens -- da die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung immer spezialisierter, komplexer und vielfältiger wurden -- sind sie offenbar bei der Formulierung und Lösung eines Problems nicht in der Lage, Ergebnisse anderer Fachbereiche zu berücksichtigen und zu integrieren. Drittens erreicht uns, den Durchschnittsbürger, das Spezialwissen in den Medien zunehmend polarisiert, d. h. reduziert, simplifiziert, aussortiert und polemisch aufbereitet, also gefiltert nach politischen, ökonomischen Aspekten mächtiger Interessengruppen. Viertens hat beinahe jeder große Konzern sein eigenes Forschungsteam (hier wirkt die objektive Wissenschaft manchmal käuflich), was dann dazu führt, daß, wenn auf die Gefährlichkeit eines Produktes, Medikaments oder "Energiegewinnungsmonsters" heute in der Zeitung von Wissenschaftlern hingewiesen wird, dies eine Woche später von anderen Kapazitäten als Unfug oder Bangemacherei hingestellt werden kann. Wem soll man glauben? Fünftens sind zeitraubende Sprachbarrieren zu überwinden, falls man versuchen sollte, sich das eine oder andere Forschungsergebnis selbst prüfend vorzunehmen.

Das Ergebnis dieses wohl jeden betreffenden Dilemmas ist Hilflosigkeit, die aber verdrängt und kaschiert wird, nicht zuletzt aus Gründen einer bestimmten Konkurrenz- und Karrieresituation, mit einem Großmannsgetue, das keine Selbstzweifel, Selbstkritik, kein Eingestehen von Unvermögen zuläßt, sei es nun im Hinblick auf die Verwirklichung eines persönlichen Selbst, oder sei es im Hinblick auf die Formulierung und Propagierung von Ideen oder Problemlösungsangeboten, die sozial-ambitioniert und möglichst der ganzen Menschheit dienen sollen. Hinzu kommt, daß man, um groß und stark zu bleiben, sich zweckmäßig abkapselt in Gruppen von Gleichgesinnten, nichts an sich heranläßt, sich selbst ständig lobt und andere und anderes madig macht. Denn sich in ein anderes Fach zu begeben, sich den Einwänden einer anderen Sehweise auszusetzen, heißt natürlich Eingestehen von Schwäche, denn hier weiß man einmal nicht Bescheid. Hier ist man unwissend, unbeholfen, verletzbar, weiß sich nicht gut auszudrücken, zu verteidigen. Da schart man als Professor doch lieber sein Grüppchen um sich, macht es sich möglichst hörig in werbepsychologisch gängiger Manier, mit ins Unterbewußtsein oder unter die Gürtellinie abzielenden Manipulationsstrategien (oft unbewußt). Es soll ja auch sogar Professoren geben, die ihre Studenten prügeln oder mit ihnen schlafen (wobei letzteres vielleicht vorzuziehen wäre). Man ist von egozentrischen Größenideen besessen und benötigt zur Verleugnung faktischer Schwäche und Zerbrechlichkeit ständig die Ausbeutung seiner Umgebung, in der narzißtische Selbstvergötterung oder die Stabilisierung des Omnipotenzleitbildes selbstverständlich wurde durch politisch zementierte Strukturen von Herrschaftsbeziehungen, wo die Aufspaltung in Macht und Ohnmacht stark und schwach, klug -- dumm, oben -- unten -- Verhältnisse zum Fundament unserer Lebensordnung wurde. (Zitat: H. E. Richter)



II

Da auch meine Arbeiten den meisten Menschen sehr kompliziert zu sein scheinen, füge ich den Ensembleaufbauten seit längerer Zeit kurze Texte bei, in einer dem Rezipienten eher geläufigen Sprache, um Eselsbrücken zu bauen. Für diesen Beitrag habe ich zum ersten Mal versucht, eine Bildgeschichte (in linearer Abfolge) herzustellen. -- In dieser Serie geht es um folgendes:

1. Um die Notwendigkeit und die Voraussetzungen für die Entstehung und Externalisierung, Artikulation individueller innerer Bilder (Lebenseinstellung, Kunstauffassung, Theorie o.ä., auch bei Künstlern),

2. Um die Notwendigkeit einer Vermittlung dieser Bilder, Theorien u.s.w. in reduzierter, simplifizierter Form.

Da mein Beitrag selbst ein Beispiel für Simplifikation ist, wird die Reaktion des Auditoriums für mich ein Teil meiner Erfahrung im Hinblick auf Effektivität sein.

Die letzte Abbildung (Bild 9) wird andeuten, daß ich auch selbst Vorbehalte habe und neue Konflikte nicht nur für möglich halte, sondern sogar erwarte. Und nicht zuletzt deshalb lautet der Titel dieses Comics "Dilemma der Vermittlung".



Bild 1:

Das erste Bild ist eine Polemik auf die Kampfsituation zwischen Praktiker und Theoretiker (man kann wahrscheinlich nur die Schimpfwörter darauf erkennen).

Es handelt sich hier um zwei Kontrahenten, nehmen wir an um einen Maler und einen Wissenschaftler, die ich, natürlich etwas übertrieben, wie folgt charakterisieren möchte: Beide haben sowohl positiv als auch negativ zu bewertende Eigenschaften, beide gehen sich nach Möglichkeit aus dem Wege, aber wenn sie aufeinandertreffen, dann knallt's.

Positiv beim Klischee-Malertypus könnte sein, daß er sinnlich wahrzunehmen vermag, emotional, subjektiv-intuitiv mit eigenem Erfahrungs- oder Erlebnishintergrund. Negativ könnte sein, daß er suggestibel und daher sehr manipulierbar ist, da er gewisse notwendige Talente des Abwägens und Vergleichens spontan emotionaler Eindrücke mit früheren Erfahrungen hat verkümmern lassen. Schlimmer ist es wohl, wenn er Gefühl als Attitüde trägt und zur Verdrängung von Ratio zu Rauschmitteln greifen muß. "Seine verbalisierenden Abstraktionsleistungen an sinnlicher Praxis sind minimal" (Haug). Dem Intellektuellen gegenüber hat er insgeheim Minderwertigkeitskomplexe, da er vermutet, daß dieser in vielem doch besser informiert sein könnte als er. Er ärgert sich, mit einigem Recht vielleicht, daß letzten Endes diejenigen, die gut argumentieren können, das Sagen haben -- und er fühlt sich ausgeliefert und gefährdet im Hinblick auf Wahrung seiner eigenen Interessen, da Bürokratie und Wissenschaft in hohem Ansehen stehen, und er sich nicht wehren kann. Sein Argumentations- und Kampfstil setzt auf Irritations- und Bürgerschreckeffekte, häufig, um vom Thema abweichen zu können, mit gutem Humor und starkem, brutalem Witz -- aber auch mit Beleidigungen und auch gern mit Androhung von Gewaltanwendung.

Der Theoretiker oder Wissenschaftler ist kühl abwägend, systematisch, logisch, objektiv -- und er kann ganz sicher so manchen Sachverhalt differenziert darstellen. Dabei ist er zuweilen so gründlich oder auch vorsichtig, daß er sich mit darauf aufbauenden Konsequenzen, Lösungen von Problemen, schwer tut. Da er sich, um objektiv zu sein, möglichst selbst aus allem heraushält (er mißtraut seinen Gefühlen, sie könnten ihn täuschen), droht ihm häufig emotionale Verkümmerung. Mag sein, daß er bei den anderen etwas spürt, vermutet, neidet, was ihm längst abhanden gekommen ist. Er kaschiert seine Minderwertigkeitsgefühle durch brillante, aber auch etwas geheimnisvoll bleibende Argumentationstechnik in einem für Außenstehende schwer verständlichen Fachjargon. Er fürchtet die unberechenbaren, irrationalen Gefühlsausbrüche und Ausweichmanöver des anderen, seine Witz- und Vulgärspracheffekte.

Beide Typen tun so, als seien sie dem anderen haushoch überlegen, obwohl jeder von dem anderen etwas lernen könnte. Und solange diese Typen allzu zahlreich vertreten sind, wird es nicht klappen mit der Gesamthochschule.

Ergo: Spezialisten aller Fachbereiche, Wissenschaftler untereinander, Theoretiker, Praktiker müssen neue Modi der Vermittlung und Verständigung finden, sich zeitweise vom Sockel der Arroganz herabbemühen.

Der Theoretiker, der Praxis -- und sei es die des Kunstmachens -- kennenlernen will, wird sich wohl anfangs etwas blöd dabei benehmen, und der Künstler, der erklärende Worte für seine Produkte zu finden sucht, wird sich wohl anfangs ebenso blöd dabei benehmen, man sollte es beiden nicht mit Hohn (oder gar Empörung) heimzahlen. (Mal sehen, was mir nachher passiert.) Interdisziplinär vorzugehen, das bedeutet zwar Dilettantismus auf dem einen oder anderen Gebiet, aber es muß in Kauf genommen werden. (Alles andere funktioniert eh nicht mehr.)



Bild 2:

Nun gibt es in beiden eben geschilderten Typen durchaus Gemeinsamkeiten, denn was will der Mensch?

Er will angenehm leben, er will angenehme Gefühle des Wohlbefindens, der Freude und der Lust. Dafür hat er Gefühle, Sinnesorgane, Libido -- und er erlebt um so intensiver, je mehr er seine Person unter Berücksichtigung individueller Dispositionen, Macken und Empfindlichkeiten einbringen kann. Aber -- er muß auch, um überleben zu können, also um Schmerz und Gefahr zu vermeiden, seinen Verstand, seine Ratio zum Einsatz bringen, nämlich Erfahrungen sammeln, speichern, abwägen können -- Sicherheits- und Konfliktvermeidungskonstrukte erfinden.

Ich möchte jetzt dieses Schema erklären, in dem die Grundmuster enthalten sind, die in den nächsten Bildern immer wieder auftauchen werden. Unten sieht man das Schema eines Menschen: Kopf, Schulter, Knie, sitzend vor einem Podest -- aus der Vogelperspektive gesehen. Auf dem Podest eine Decke, ein Teller, darauf so etwas wie eine Frucht, an den Teller gelehnt ein Rahmen. Diese Objekte gibt es auch real in meinen Ensembles, und sie haben in meinem individuellen Bezugssystem bestimmte Bedeutungen.

Das Objekt kann ein lustspendendes Objekt (Frucht oder Mensch), ein zu beurteilendes Objekt (Mensch oder Zustand) oder auch ein zu lösendes Problem und ähnliches sein.

Das Subjekt (der Mensch) strebt hin zu dem Objekt mit dem Ziel der Vereinnahmung, Verschmelzung oder auch mit dem Ziel der Erkenntnis- oder Urteilsfindung oder Lösung eines Problems.

Das Podest bedeutet bei mir einmal ganz einfach Auswahl, Ausgrenzung, Hervorhebung des Objekts (auf der Podestoberfläche). Darunter aber soll sich das Gerüst der Erfahrung (eine Mischung aus eigener und übernommener Orientierungshilfe) befinden. Es ist die Theorie oder Lebenseinstellung. Ein Konfliktvermeidungskonstrukt aus Rezepten, Konzepten, verinnerlichten Verhaltensnormen, Gesetzen usw. Dieses komplizierte Strukturgebilde der Anpassungs- und Gefahrenvermeidungsstrategien soll aber möglichst nicht immer bewußt sein, das wirkt aktivitäts- (gefühls)blockierend, deshalb befindet sich darüber ein Tuch, so daß eigentlich nur noch der Faltenwurf mit Licht und Schatten schwach andeutet, was darunter sich alles befindet. Der Faltenwurf deutet aber an das Auf und Ab der Gefühle, Licht und Schatten, so aber noch verhältnismäßig überschaubar.

Der Teller steht stellvertretend für einen nützlichen Zivilisationsgegenstand (es könnte auch ein Bett sein), um das Objekt, zumal wenn es eher amorph oder flüssig ist, festzuhalten, einzugrenzen (einzuordnen). Es könnte aber auch so etwas sein wie ein Mund, die Kopfumrißlinie, wenn sie umgreifend gezeichnet ist (meint Verschlingen).

Der Rahmen schließlich ist eine Wahrnehmungsschablone oder ein Raster aus dem Wahrnehmungs- bzw. Konfliktvermeidungskonstrukt -- vielleicht kann man sagen: das Vorurteil. Jedenfalls grenzt die Schablone die Wahrnehmung ein -- auch im positiven Sinn --, denn sie ermöglicht auch die Konzentration auf ein Detail des Objekts, was wiederum intensitätssteigernd wirken kann.



Bild 3:

Hier entsteht das Konfliktvermeidungsgerüst. -- Wir sehen hier wieder den Menschen vor dem Podest sitzen, über ihm eine Gefühlslinie und darüber eine gewaltige Kopfumrißlinie. Er drängt mit naiv unbekümmertem Egoismus nach Bedürfnisbefriedigung und Lustgewinn. Natürlich führt dies zu leidvollen Erfahrungen und Konflikten, denn er stößt an die Grenzen der Bedürfnisse anderer, an Verhaltensnormen, Gesetze u.s.w., und er muß wohl oder übel Erfahrungen speichern, es entstehen Bilder im Kopf, Kürzel des Erlebten, sowohl positive als auch negative. Und allmählich entsteht dieses immer dichter werdende Gerüst der Absicherung aus Vorsicht und Angst, eine Mischung aus eigenen und übernommenen oder oktroyierten Handlungsrezepten, so daß die Gefühlskurve schließlich reichlich abflacht und die Decke mit fantasieanregendem (schlimmstenfalls wildem) Faltenwurf allmählich zum Spannlaken werden kann. "Abstraktionsleistungen an den sinnlichen Praxen sind notwendig", hat Haug heute morgen gesagt.



Bild 4:

Und es kann passieren, daß das Gerüst, das ursprünglich zur Sicherheit gedacht war, zur Gefahr wird -- besonders dann, wenn nur sehr wenig eigene Erfahrung, aber sehr viel Übernommenes die Konfliktvermeidungsstruktur prägt. Dieses Bild ist eine Entgegnung auf die (zumal seit der Studentenbewegung übliche) Diffamierung des Selbstverwirklichungsanspruchs, als egozentrisch, privatistisch, monoman u. ä.

Hier sitzt der Mensch (Maler oder Wissenschaftler) schon in einem Käfig. Er hat sich prima abgekapselt, hat wohl auch seine Beschäftigung (reichlich Konserven, Fernseher usw.), aber er nimmt seine Umgebung, wenn überhaupt, nur sehr undeutlich wahr, sei es, weil er seine Reflexionsfähigkeit (Künstler), sei es, daß er Fähigkeiten eigener sinnlicher Wahrnehmung hat verkümmern lassen (Theoretiker und Künstler). -- Ich beziehe mich in folgendem auf letzteres --. Allmählich fängt er an, Ekel, Überdruß und Langeweile zu empfinden. Eines Tages plötzlich taucht vor seinem Käfig ein Objekt auf, das in ihm eine vage Erinnerung weckt an etwas irgendwie Wunderbares, und aufgeregt späht er durch sein Gestänge, und weil er das Objekt festhalten möchte, macht er sich ein Bild davon, bevor es wieder verschwindet. Auf diesem Bild ist das Objekt jedoch kaum zu erkennen, es ist völlig zerstückelt und zerrissen von Strukturen, Linien, Mustern des Gestänges in seinem Käfig, das ihn in seiner Wahrnehmung, am Sehen hinderte. Aber er läßt nicht locker, er sucht und kramt in seinem Gehäuse, und schließlich findet er in einer Ecke -- unter Notizen, Büchern, Zeichnungen -- seine Lustschablone, die er vielleicht seit seiner Kindheit nicht mehr in der Hand hatte -- und dies wühlt ihn derartig auf, daß er beschließt, den Käfig zu verlassen und das Objekt zu suchen. Damit er aber sein Gehäuse wiederfindet, macht er sich ein Modell, das er auf dem Rücken tragen kann, auch ein Foto, um den Standort wiederzufinden. Dann macht er sich auf den Weg -- mit Konfliktvermeidungskonstruktmodell, Foto desselben, Rasterbild von dem Objekt und Lustschablone.

Nun kann allerdings folgendes passieren: Angenommen, es kommt in diesem Moment ein Kunsthändler vorbei, der ihn dazu veranlaßt, hinfort Modelle oder Rasterbilder herzustellen, so wird seine Entwicklung in diesem Moment wieder stagnieren. Und wenn man sich vorstellt, daß dies Produkt die Doktorarbeit eines Wissenschaftlers ist, wird er in Versuchung geraten, einen lukrativen Job anzunehmen, der ihn hinfort so beschäftigt, daß er die Suche einstellt.



Bild 5:

Eigenes Gefühl, Selbstkritik, Korrektur

"Die Befreiung von finster anschaulichen Aktivitäten" (Marcello). -- Nehmen wir den positiven Fall an. Er wandert los, sucht weiter, verläßt eingefahrene Wege und stellt sein Gerüst mitten in die Landschaft. Darauf eine Decke, der Teller (oder eine Falle), davor die Lustschablone, links das Foto eines Käfigs (des Konfliktvermeidungskonstruktes), rechts vorne sein Rasterbild, damit er das Objekt wiedererkennen kann. Übrigens darf man nicht annehmen, daß er viel von der Umgebung wahrnimmt, er ist total fixiert auf sein Ziel. Und tatsächlich, eines Tages kommt so ein Ding angeflogen, nehmen wir mal an, es ist ein Lindenblütenblatt. Er nimmt seine Lustschablone (sinnlicher Wahrnehmung), wagt es, ganz dicht heranzugehen -- und ist überwältigt. Mit Haugs Worten ausgedrückt: "aus bedrängenden komplexen Wirkungszusammenhängen sich befreien in Handlungen über den sinnlichen Sinn des Lebens".

Um diese Empfindung festzuhalten, macht er sich wieder ein Bild davon. Dann lehnt er sich zurück (wagt es), und er stellt fest -- aus der Distanz -, daß das Bild zwar schön ist, aber es niemals an das reale Objekt heranreicht, obwohl es doch schon viel genauer als sein Strukturbild ist.

Erfahrungen:

1. Er hatte ein eigenes Gefühl sinnlicher Wahrnehmung und Vereinnahmung ("die Träne quillt, die Erde hat mich wieder ...").

2. In dem Moment, wo er davon ein Bild macht, kann er Distanz dazu herstellen, Fehler im alten Wahrnehmungsraster erkennen und korrigieren.

3. Die Distanz ermöglicht ihm außerdem, die einzelnen Teile des Arrangements im Verhältnis zueinander und mit entsprechend anderen Gewichtigkeiten zu erkennen; und er macht sich ein neues Theorieschema, in dem nicht nur der Käfig, sondern diesmal er selbst zusammen mit der neuen erweiterten Konstellation erscheint.

Nun kann es wieder passieren, daß ein Händler vorbeikommt, und wenn er der Versuchung erliegt und etwa, wie dieser verlangt, hinfort nur noch Bilder macht, ohne seine Schablone zu modifizieren, dann dürfte er abermals in seiner Entwicklung stagnieren.



Bild 6:

Analyse, Einbeziehen des Wissens anderer

Allerdings er macht auch negative Erfahrungen. Er läßt ab von seiner Dosennahrung und wagt es, eigene Rezepte auszuprobieren, was zu Magenverstimmungen führen kann. Das heißt, er lernt zu analysieren (Analyse des Auskotzens bei Anzeichen von Vergiftung). Und er besorgt sich zweckmäßig ein Pflanzenkundebuch, wo giftige und genießbare Lebensmittel aufgeführt sind. Das heißt, er wagt es und lernt auf einem inzwischen entstandenen eigenen Erfahrungshintergrund (frisches Gemüse schmeckt besser als Konserven) das Wissen anderer einzubeziehen. Im übertragenen Sinne entspräche u. a. dies zum Beispiel der Forderung von H. G. Helms an Künstler: "Kenntnis von -, Bewußtsein für -, Analyse von - historisch gewachsenen ökonomischen Verclinchungen und Konflikten innerhalb des herrschenden Systems."



Bild 7:

Kommunikation

Nun geht es ihm schon ganz gut. Er gewinnt zunehmend Interesse an seiner Umgebung. Er nimmt Mensch-Umrißlinien und Stimmen an seinem Fenster wahr, und eines Tages befindet sich vor ihm ein Objekt Mensch. Er holt aufgeregt seine Lustschablone hervor, macht sich ein Bild, und, siehe da!, an einigen Stellen stimmen beide überein. Allerdings hat dieses Objekt eine eigene Lustschablone, und man macht Erfahrungen, tauscht Erfahrung aus -- was natürlich für ihn ein Anlaß ist, die eigene Schablone erneut zu modifizieren, denn er weiß inzwischen, daß in seiner Schablone noch jede Menge Lücken und Fehler enthalten sein müssen. Ich fasse noch einmal zusammen, was er inzwischen gelernt haben müßte:

1. Er hat so etwas wie eine eigene Entscheidungsfähigkeit von Gut und Böse aufgrund eigener Erlebnisse sinnlicher Wahrnehmung.

2. Er hat es gelernt, sich Bilder zu machen, alte übernommene Begriffsschablonen in Frage zu stellen.

3. Er ist in der Lage, Selbstkritik zu üben, Korrekturen vorzunehmen.

4. das Wissen anderer einzubeziehen.

5. Er merkte, daß es zweckmäßig ist, eigene Erfahrungen im Kontext zu außerpersönlichen Gegebenheiten (und umgekehrt) zu analysieren.

6. Er hat aber auch festgestellt, daß seine Lebenseinstellung, das Theorieschema, seine darauf aufbauenden Aktivitäten und Äußerungen, für andere ziemlich befremdend sind. Dieses Lustobjekt Mensch hat ihn wieder verlassen und noch zum Abschied gesagt: "Also im Bett war man ja prima, aber diese ganzen Zettel, Fotos, und Notizen, was soll das, verstehe ich nicht, es geht mir auf den Geist."



Bild 8:

Allerdings kann es schlimmer kommen. Wie reagiert man angesichts einer drohenden Gefahr? -- Eines Tages erscheint ein schrilles, häßliches, stinkendes Monster, bis an die Zähne bewaffnet, mit einem Verhaftungsbefehl, und man steht vor der Alternative: entweder flüchten oder sich und sein System verteidigen. Man bezwingt seine Panik und geht vor, wie man es bisher gelernt hat. Man macht sich erstens Bilder und Notizen, sammelt Informationen über das Objekt, und es ergeben sich Reaktionen, subjektiver, affektiver Art -- zum Teil berechtigt, aber einige Aversionen erweisen sich als Vorurteil -- z. B.auf Grund der Tatsache, daß das Monster an einen schrecklichen Mathematiklehrer erinnert. Zweitens stellt man sogar fest, daß es durchaus Gemeinsamkeiten gibt, z. B. hat das Ekel tiefempfundene Naturerlebnisse in seinem Schrebergarten und bei Zelttouren mit Kameraden. Es ißt auch gern Nudeln und Erdbeeren mit Schlagsahne, interessiert sich für Sex. Drittens hat es ein Konfliktvermeidungssystem mit sehr viel übernommenen verinnerlichten, verdrängten, behindernden Verhaltensschablonen, wie man es selbst früher einmal hatte. Viertens erwecken eingeholte Informationen aus seinem Lebensumraum und aus der Psychologie wie Soziologie ein gewisses Interesse und Verständnis, denn man sieht, warum dieser Kerl so geworden ist. Trotz allem, man muß sich verteidigen, denn es geht um Leben oderTod, man muß einen Weg finden, um sein System zu erklären.

Dies wird folgendermaßen versucht; angenommen der Fall, es gelingt, die Auseinandersetzung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben; so werden vor diesem erneuten Zusammentreffen bestimmte Vorkehrungen und Veränderungen im Arrangement des Lebensumraums getroffen.



Bild 9:

Es wird eine Manipulations- bzw. Verführungsstrategie entwickelt, um dem anderen das ihm befremdliche Lebens(Arbeits-)konzept näherzubringen, vermittels:

- Anpassung,

- Reduktion,

- Simplifikation,

- Polemik,

- Dekoration,

- Animation.

Das heißt, um eine Annäherungsmöglichkeit, eine Verständigungsbasis zu schaffen, baut man eine Brücke unter Berücksichtigung der vorliegenden Recherchen über die Person, und man trifft eine Auswahl im eigenen Wahrnehmungsmodell auf der Basis vorgefundener Ähnlichkeiten und gemeinsamer Vorlieben, die bei aller Unterschiedlichkeit immerhin doch festgestellt werden.

Es wird das Angebot insgesamt reduziert und vereinfacht, das heißt, nur sehr einfache und standardisierte Wahrnehmungsschablonen (zum Teil solche aus vergangenen Zeiten) werden präsentiert, so daß das Ordnungssystem überschaubar wird, Gesetzmäßigkeiten erkennbar werden. Zwar wird das ganze dadurch undifferenzierter, plakativer, polemischer und auch unwahrer, obgleich die Unrichtigkeit am Detail nicht unbedingt festzumachen ist (eher insgesamt durch das Nichtvorhandensein von Komplexität, Kompliziertheit, was nur dem Kompromißler als Mangel bewußt bleibt.)

Allerdings dürfte es nicht unwichtig sein, einen gefällig dekorierten Präsentationsumraum zu schaffen, mit Pflanzen, warmen Farben, Lichteffekten, einschmeichelnder Musik. Außerdem sollte das Verhalten des Animators, die angenehme Atmosphäre ergänzend, ausgerichtet sein auf gängige Verführung. -- An diesem Punkt müßte man wohl unterscheiden zwischen männlichen und weiblichen Animationsstrategien. Gemeinsam ist ihnen die Tatsache, daß sie sich im Zugzwang befinden, ihre Qualitäten, ihre "Effizienz" ganz groß herausbringen. Der Mann macht dies zweckmäßigerweise so, daß er Selbstsicherheit und Überlegenheit in Sprachduktus, Mimik, Motorik, Betonung signalisiert, je nach Veranlagung des Kontrahenten, väterlich-warm, kumpelhaft-witzelnd, schwulig-ergeben oder autoritär-bissig. Als Frau, zumal bei männlichen Kontrahenten bietet sich an eine entsprechend dosierte Mischung von Standards für Sex, Auslöser für Brutpflegeverhalten, Beschützerinstinkten! Man sollte sich etwas hilflos, unterwürfig, kindlich-naiv oder mütterlich-warmherzig geben, bewundernd das Selbstwertgefühl des anderen stärken u.s.w. (Man nennt es "Charme haben".)

Die menschliche Schemafigur des letzten Bildes scheint mir eher weiblich zu sein. Die bösen Sprüche auf dem Rücken sind durchaus zweideutig zu verstehen. Positiv wäre es doch, wenn das Opfer, über den Buckel rutschend, unweigerlich über das Muster derTischdecke, das für sich selbst spricht, auf das Gedeck zu, in die Falle geriete.

Selbstverständlich gibt es etwas ihm Wohlschmeckendes zu essen und zu trinken. Möglichst mit erster Einübung im Ertragen von leicht Ungewohntem durch ein fremdes Gewürz, das sehr gut eine angenehme Neugier zu erwecken vermag auf die geheimnisvolle Aura von Exotik = anders sein. Es mag sogar angebracht sein, das Würzen dem Besucher selbst zu überlassen, als erste Anleitung zur Mitarbeit, zum Mitdenken. Denn neben dem Teller rechts steht zwar ein sehr einfaches, in roten Farben gehaltenes Bild voll versteckter Sexsymbolik, auf das er nach einigen Drinks voll abfährt. Aber auf dem Abbild links des Tellers ist (auf dem zweiten Blick zumindest) sein eigener einengender, behindernder Konfliktvermeidungs-(Gesinnungs)käfig deutlich erkennbar.

Ich habe versucht, mir vorzustellen, was das Ergebnis dieser Bemühungen sein könnte. Im günstigsten Fall ließe sich vorstellen, daß dieser Mensch sich seines eigenen Käfiggerüstes bewußt wird und er selbständig in seinem Kopf das Komplizierte, das in diesem Konzept angedeutet ist, ergänzt. Er ändert seine Lebensführung, korrigiert seine Theorie, wird tolerant in seinem Urteil über Egotripper, Danebentypen, Exzentriker, erkennt womöglich die vertrackten gesellschaftlichen Hinter-Gründe und Ursachen dieser beschissenen Verkaufsstrategie. -- Andere Verhaltensreaktionen wären z. B. der Banause, er fühlt sich sauwohl, kommt fortan häufiger zu Besuch, bringt womöglich seine Kumpel mit, und man ist nur noch dabei, Suppe zu kochen. Man wird zum Freizeitgestalter, ohne selbst noch die Möglichkeit zu haben, zu regenerieren. Dies entspräche auch einem lukrativen Angebot als Puffmutter, als Animateur oder Kompensator für demolierte Politiker oder Unternehmer -- oder als Sloganerfinder in der Werbebranche oder Bildzeitung. -- Es wäre auch vorstellbar, daß dieser Mensch das ganze Arrangement aufkauft und, angenommen, er ist Kunsthändler, mich veranlaßt, hinfort nur noch solche gefälligen Objekte herzustellen. -- Andere Möglichkeit: er klaut im Kopf die gängigsten Gebilde und macht selbst seine Geschäfte damit. -- Oder: eine Interessengruppe von Simplifizierern (Dogmatikern) knüpft an die vorhandenen Ähnlichkeiten und spannt mich vor ihren Karren. -- Oder die häufig erfolgte Reaktion: Der Kulturbanause genießt und sagt: "Das ist doch alles so einfach, das ist keine Kunst, das kann doch jeder."

Dieses letzte Bild ist rückkoppelnd auch gleichzeitig die zusammenfassende Darstellung meiner Vermittlungsbemühungen, wie ich sie in der ganzen Bild-Text-Geschichte versucht habe (wenn auch nicht annähernd so perfekt).



Wie ich anfangs schon erwähnte, werden die Reaktionen der Zuschauer mich möglicherweise zwingen, meine Theorie zu modifizieren. Nun ist die Situation während dieses Symposions allerdings komplizierter, da sich das Auditorium aus unterschiedlichsten Charakteren zusammensetzt und vorherige Untersuchungen nur in sehr beschränktem Umfang möglich waren. Pauschal könnte man annehmen, daß hier sowohl System- bzw. Kunsttheoretiker als auch Kunstschaffende, also Praktiker, reagieren werden. Letztere könnte man wiederum unterteilen in solche, welche Vermittlungsbemühungen primär kultivieren (im Bereich angewandter Kunst, visueller Kommunikation, Gebrauchsgrafik, aber auch Schauspieler, Musiker etc.), und in die sogenannten freischaffenden Künstler (die "Elitären"). (Drittens gibt es sicher eine Gruppe, die aus Gründen politischen und hochschulinternen Machtgerangels sowieso nur nach Fehlern sucht.) Entsprechend werden die von mir erwarteten Reaktionen sein: Die Wissenschaftler und Theoretiker werden meinen Beitrag als naiv, geschwätzig, subjektivistisch abwerten, ein Teil der Künstler, zumal die der angewandten Disziplinen, werden meinen Beitrag nicht einfach genug, zu theoretisch, zu abgehoben finden, der elitäre Rest ihn einfach als "ganz unmöglich" bezeichnen, denn es sei unter der Würde eines Künstlers, sich plump erläuternd, herabbeugend dem Publikum zu nähern. Dies würde der eigentlichen Aussage (die das Geheimnisvolle geradezu benötige) mehr schaden als nützen, da sie durch Vereinfachung im hohen Grade verfälscht und den Rezipienten in seinem Kästchendenken, seiner Trägheit, nur bestärken würde.



Feed-back im Anschluß an das Symposion

Die Reaktionen sind spärlich, deshalb nicht repräsentativ. Aber sie erfüllen meine Erwartungen. Zwei Studenten meinen, das Ganze seien Selbstverständlichkeiten, ergo nichts Neues. Ein Dozent behauptet, er kenne die Figur der Bildgeschichte schon aus Kinderbüchern (?). Ein von mir geschätzter Wissenschaftler irritiert mich, denn er ist tief gekränkt, fühlt sich "verkackeiert", da ich einige Fommulierungen seines Beitrages meinen gegenüberstellte, was lediglich als Vermittlungsbemühung gedacht war.



Fazit

Die Comic-Serie ist an sich noch nicht zu Ende. Außerdem komplizieren und kompromittieren die Rückkoppelungen, Einschränkungen und selbstkritischen Äußerungen die im Bild 9 angelegte Verführungssituation, die ich selbst in dieser Konsequenz -- zugegeben -- noch niemals praktiziert habe (aber andere, Erfolgreiche).

Das anfangs versprochene 'Ich versuch es einmal ganz einfach zu sagen' meinte nicht nur den Sprachstil, sondern vor allem die Darstellung an sich komplizierterer, psychologischer, philosophischer Inhalte. Verhaltensweise insgesamt: Ungefähr wie unter Animationsstrategie 'weiblich' charakterisiert.



Schluß

Zu erwartende Reaktion auf die Publikation: Sie wird erstens ohnehin kaum gelesen, zweitens wird dieser Simplifizierungsversuch sich im Kopf manches Rezipienten auf die Größe eines Stempels weiter reduzieren, zur Wurfspießscheibe, ohne Verteidigungsmöglichkeit und ohne animierende Ausgleichseffekte durch persönliche Anwesenheit der Konstrukteurin. -- In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern wäre dieser Beitrag vielleicht besser (stringenter) ausgefallen.



*[the also in 1984 published part of the text starts and ends with [***]. The few small deviations in the readings are identifiable through colors.
Yellow stands for the version from 1979, red for the one from 1984]


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