Auf den ersten Blick ...
Über die Methode:
Die Methode hat sich entwickelt aus ...
Die Themen meiner Ensembles ...
[***] Auf den ersten Blick sieht die fotografische Abbildung eines
Ensembles vielleicht wie ein abstraktes Gemälde aus, auf den zweiten
Blick wird man erkennen, daß es sich um flache und nichtflache,
farbige und nichtfarbige Gebilde handelt, die, zusammen arrangiert
und den Raum einbeziehend, so etwas wie ein Environment bilden.
»Ensemble« heißt im Französischen »zusammen«, und davon abgesehen,
daß ich im Ensemble gern über andere und daher auch mit ihnen
zusammenarbeite, sind hier Pflanzen, Podeste, Skizzen, Zeichnungen,
Bilder, kleine Plastiken, Fotos, Fotoleinwände, Texte zusammen
arrangiert. Man erkennt auch ein paar Details, die durch Vergrößerungen
und Wiederholungen stark hervorgehoben sind, und umgekehrt Zusammenfassungen
von Arrangements früherer Zustände auf Fotoleinwänden, wo Details,
nur noch von mir entzifferbar, zu abstrakten Gebilden zusammenschrumpfen
.
Was man auf den Abbildungen [der Abbildung] nicht erkennt, ist, daß [hier] nicht nur unterschiedliche Bildebenen, Realitätsebenen, Ausdrucksformen,
Medien zusammen arrangiert sind, sondern auch Darstellungen --
visualisiert oder artikuliert -- verschiedener Bewußtseinszustände,
Bewußtseinsebenen, Bezugssysteme (Bewertungsräume), Metaebenen.
Weniger prätentiös, aber ungenauer, könnte man sagen: Es gibt
nebeneinander Offenes -- Geschlossenes, Unfertiges -- Fertiges,
Irrationales -- Rationales, Triviales -- Elitäres, Privates --
Allgemeines, Albernes, Brutales, Tradiertes -- Progressives, Geheimnisvolles
-- Klares, Dummes -- Kluges, Kitschiges, Sinnliches, Idyllisches,
Abstraktes und Theoretisches (Wissenschaftliches). Es gibt Kommentare
von mir und anderen, Umgangssprache, Subsprache, gut Formuliertes.
Es gibt sich Entsprechendes, sich Widersprechendes, sich Bedingendes,
sich Ergänzendes, dem jeweiligen Ensemblethema zugeordnet, aber
auch alles zusammenfassende Definitionen. Das heißt, um dem Betrachter
das scheinbare Chaos zu lichten, gibt es auch Übersichts- und
Themenpläne und Diagramme sowie einfache, simplifizierende Texte
zur Entstehungsgeschichte des Ensembles und zur Methode allgemein,
die dem Ganzen zugrunde liegt.
Über die Methode:
Im Zentrum des Ensembles befindet sich ein reales Objekt -- am
Anfang ein Fundstück aus der Natur, z. B. ein Laubblatt (später
Menschen, Begebenheiten, Konflikte, Probleme). Ausgehend von diesem
Objekt, entwickeln sich nachfolgende Zustands-, Bewußtseins- und
Handlungsphasen.
1. Meditation:
Die Konzentration in der Meditationsphase wird unterstützt durch
naturalistische Detailzeichnungen vom Objekt.
2. Katharsis:
Diese ist vergleichbar dem Automatismus der Surrealisten oder
dem Brainstorming. Das meint hier ein möglichst spontanes, z.
T. automatisches Reagieren und Assoziieren auf das Objekt, um
unbewußte Äußerungen zu provozieren und sie soweit wie möglich
in Form von Skizzen und Notizen zu fixieren. Dies ist eine Phase
propulsiver Ausdehnung, in der alles zugelassen ist, auch Darstellungen,
die, gemessen mit künstlerischen oder allgemeineren Bewertungskriterien,
normalerweise nicht gestattet sind. Der Einfallsreichtum soll
dadurch begünstigt werden, daß zunächst keine Beurteilung bzw.
Kritik der Äußerungen hinsichtlich ihrer Qualität und Tauglichkeit
erfolgen darf. Ergebnisse dieser Phase werden in öffentlichen
Ausstellungen nur auszugsweise oder schwer zugänglich präsentiert,
da sie oft zu privat, dummdreist oder läppisch sind.
3. Reflexion oder Feed-back aus der Distanz:
Im visuellen Bereich: zusammenfassende Fotos und Zeichnungen,
um die Distanz und einen Überblick zu ermöglichen; im verbalen
Bereich: individuelle Deutungen und auch wieder Assoziationen,
im Hinblick auf mögliche Ursachen und Motivationen, Sammlung von
Zitaten, die dem Thema entsprechen.
4. Analyse und Herstellung eines Gesamtbezugs:
Details und Zwischenergebnisse werden in Gruppen zusammengestellt,
konfrontiert, verglichen mit verschiedenen Bezugssystemen, Bewertungsräumen
(mit Texten aus dem Bereich der Philosophie, Psychologie, Soziologie
usw.). Die Zeit spielt eine besondere Rolle, insbesondere auch
bei der notwendigen Gewinnung von Distanz, und so erstreckt sich
die Entstehung und Modifikation vieler Ensembles über mehrere
Jahre, ist theoretisch nie abgeschlossen. Ein zusammenfassendes
Foto eines Ensembleaufbaus ist als sogenanntes Bezugsfoto zusammen
mit dem realen Objekt Ausgang für weitere Bemühungen. [-- Abbildung 2 --]
Bei all dem wird, von einem Punkt, dem realen Objekt, ausgehend
vom Einfachen zum Komplizierten, vom Privaten zum Allgemeinen,
vom Konkreten zum Abstrakten mit der Zeit der Radius des Interessen-
und Problemkreises immer weiter gefaßt.
Kunst ist bei mir primär nicht vermarktbarer Wandschmuck, sondern
so etwas wie Mittel zum Zweck von Lebensbewältigung -- einfacher
gesagt: um Probleme in den Griff (Begriff) zu bekommen, Konflikte
zu bewältigen. In diesem Kontext spielen, wie es wohl schon deutlich
wurde, auch traditionelle, also schon bekannte Entäußerungs-,
Kompensations- oder Entspannungsrituale eine Rolle, die eigentlich
jeder, zumindest ein bildender Künstler, wohl gut kennt.
Allerdings belasse ich es nicht dabei, sondern ich untersuche
und erforsche mich selbst und meine Umgebung anhand des gesammelten,
erlebten oder vorgefundenen Materials in einem abgesteckten Rahmen
mit einer bestimmten Methode, und die Entstehungsgeschichte, mögliche
Resultate oder Definitionen sind in den aufgebauten Ensembles
einsehbar, nachvollziehbar, nachprüfbar.
Mein Vorgehen unterscheidet sich dennoch von dem eines Wissenschaftlers
ganz wesentlich dadurch, daß ich mich selbst nicht etwa heraushalte
(meine persönlichen Belange, Empfindlichkeiten usw.); im Gegenteil:
am Anfang zumindest steht das Bemühen, selbst zu sehen, zu fühlen,
zu verstehen, wobei ich davon ausgehe -- und das ist der erste
Anlaß einer Untersuchung --, daß man in vielem, ohne es zu ahnen,
fremdbestimmt ist und daß in der spontanen Phase häufig sehr viel
zum Vorschein kommt, was allgemein, alltäglich, stereotyp, standardisiert,
gewöhnlich ist und nicht gerade dazu angetan ist, das narzißtische Größenselbst zu nähren.
Die Methode hat sich entwickelt aus den Fragen warum, weshalb,
wie bin ich, sind die anderen, die Umstände so, angesichts eines
bekannten Dilemmas. Dieses Dilemma ist die Schwierigkeit des einzelnen
angesichts der heutzutage bestehenden Informations- und Reizüberflutung
-- sei es nun im Hinblick auf ein spezielles Problem oder auch
im Hinblick auf die Konstituierung einer allgemeinen Lebenseinstellung
(die beim Künstler ja wohl in seinem »persönlichen Stil« zum Ausdruck
kommen soll).
Denn man hat gelernt [zum einen hat man gelernt], gegenüber spontanen, subjektiven, intuitiven Reaktionsweisen,
die auf einem individuellen Erfahrungs- und Veranlagungshintergrund
basieren sollen, mißtrauisch zu werden, seitdem man weiß, daß
man ständig gewissen Manipulations- und Werbemechanismen ausgeliefert
ist, und seitdem die Psychologie und auch die Soziologie individuelle
Entäußerungen nicht unbedingt in dem Bereich Genie, sondern eher
im Bereich der »Macke«, »verrückt«, »zwangsneurotisch«, »egozentrisch«
ansiedeln. [Hierzu ergänzend möchte ich sagen, daß] Dieses Mißtrauen [hat] bei mir persönlich die Reflexions- und Verbalisierungs-, Vermittlungsbemühungen
provoziert [hat], die ich für spannend und wichtig halte, auch bei anderen Künstlern.
Grundsätzlich aber bin ich schon auf der Seite der Außenseiter,
Danebentypen: nur nicht als Genieendziel von Kunstmarktstrategen
auf einen hohen Sockel gehievt. [***]
Es gibt zur Zeit mehr als 50 [inzwischen sind es ca. 70] mehr
oder weniger komplex behandelte Ensembles. In der nachfolgenden Übersicht werden verschiedene
Präsentationen (meist der Anfang, frühere Aufbauten und ein ausführliches
Arrangement) fotografisch dokumentiert. Weiter wird die jedem
Ensemble zugehörige Bezugspflanze genannt, und es werden teilweise
die im Ensemble behandelten Themen, Unterthemen und die Stichworte,
zu denen ich gezielt für das Ensemble sammle, aufgelistet. Außerdem
sind Erläuterungen zum Thema des Ensembles, die ich für die Betrachter
geschrieben habe, Interviewausschnitte von mir zu den spezifischen
Arbeiten und Zitate, die im Ensemble enthalten sind, beigefügt.
Die Themen meiner Ensembles beziehen sich auf Probleme des Künstlerdaseins;
allgemeiner: auf Daseins- oder Lebensformen, Erkenntnismöglichkeiten
(auch über den Bauch), auf Formen menschlichen Zusammenlebens.
Zuweilen kommen Dinge auf den Tisch, die mancher nicht gern hat.
Die Form des Ensembles ist mein Interaktionsangebot. Einigen erscheint
es subjektivistisch, autistisch, monoman. Dabei wäre ich gern
Vermittler zwischen den verschiedenen Disziplinen, zwischen Ratio
und sinnlicher Wahrnehmung, zwischen Kunst und Wissenschaft, Normalbürger
und Außenseiter.
*[the section published already in 1979 starts and ends with [***].
The few slight deviations in the readings have been marked with
colors. Red indicates the version from 1984, yellow the one from 1979]
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